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Donnerstag, 19. Februar 2015

Review zu "Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich" von Liv Marit Weberg



FISCHER Sauerländer (Februar 2015), Band 1,
Hardcover, 224 Seiten,
12,99 € [D]


Was macht man, wenn man zum ersten Mal alleine wohnt, aber viel zu schüchtern ist, um mit der neuen Freiheit etwas anzufangen? Anne Lise versteckt sich erfolgreich in ihrem Schneckenhaus und lässt nicht einmal ihren Freund Tore so richtig an sich heran. Bis Tore genug davon hat und sie völlig entnervt verlässt. Bis sie ihren Studienplatz verliert. Und bis ihre Eltern ihr den Unterhalt streichen. Aber so ohne weiteres gibt Anne Lise nicht auf! Kurzerhand nimmt sie ihr Leben selbst in die Hand und sucht sich einen Job. Und dabei wird Anne Lise bemerkt und gegen ihren Willen kennengelernt. Zum Glück! (Text-, Cover- und Zitatrechte: FISCHER Sauerländer)


Ich habe mich den ganzen Sommer über innerlich auf diesen Tag vorbereitet, ich weiß genau, wie entscheidend er ist.
Ich kann Freunde finden oder ohne Freunde dastehen.
Ich kann künftig beliebt sein oder sehr unbeliebt.
In beiden Fällen ist mir die erste Alternative lieber. - S. 10


Meine Meinung
Schüchterne Menschen gibt es viele. Das ist ist also gar nicht ungewöhnlich. Anne Lise, die Ich-Erzählerin und Hauptprotagonistin aus "Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich", ist jedoch so schüchtern und gehemmt, dass sie an ihrem ersten Studientag gleich wieder abhaut und in ihre Wohnung flüchtet. Der Grund ist eine zehnminütige Verspätung ihrerseits, ihre Studienkollegen haben bereits mit einem Kennerlernspielchen begonnen. Das überfordert Anne Lise so sehr, dass ihr kein anderer Ausweg bleibt, als ungesehen an der Gruppe vorbeizulaufen.

An diesem Punkt tat mir Anne Lise noch leid. Ich bewunderte sie sogar dafür, dass sie den Entschluss gefasst hatte, alleine nach Oslo zu ziehen, um zu studieren. Doch dann kommt alles ganz anders, und ich muss zugeben, dass meine anfänglichen Sympathien bald auf eine harte Probe gestellt wurden. 

Das Buch soll ein Feel-Good Roman mit Witz und Ironie sein. Stimmt schon, aber das ist sehr subjektiv. Der sprachliche Stil ist auffällig anders, wirkt bisweilen etwas einfach und naiv. Das wunderhübsche Cover suggeriert tatsächlich eine gewisse Heiterkeit. Doch fordert Anne Lise auch einiges an Geduld vom Leser. Ihre Intelligenz und ihr Humor sind hinter ihrer Unsicherheit versteckt, ihr Verhalten nötigt zu ständigem Kopfschütteln. Manches ist erst auf den zweiten Blick erkennbar.
So fragte ich mich schon bald, was nur mir dieser Hauptperson nicht stimmt?! Ihre Art, der Umgang mit ihren Eltern und Mitmenschen, ihr ganzes Verhalten, entlockten mir beim Lesen oft ein lautes "Hallo? Geht's noch?". Alleine wegen Schüchternheit war das für mich wenig nachvollziehbar, ich konnte mich schwer in Anne Lise hineinversetzen. Ja, ich dachte sogar zeitweise an eine geistige Behinderung (den gleichen Gedanken haben auch einige Personen im Buch). Lernt man sie allerdings besser kennen, spürt man deutlich den ironischen Humor und muss des Öfteren schmunzeln.

Ich lasse meinen Charme nicht spielen. Ich weiß leider nicht, wie das geht.
- S. 14

Im Laufe der Geschichte erklärte ich mir Anne Lises Verhalten mit einer Persönlichkeitsstörung, die aus ihrer extremen Schüchternheit und Gehemmtheit hervorgeht. Sie ist sehr labil und schnell überfordert, weigert sich sogar, sich mit bestimmten Situationen zu konfrontieren. Aber, und das erkennt man bald, Anne Lise ist nicht naiv oder gefühlskalt. Ihr Verhalten verleitet schnell zu diesem eingleisigen Denken. In ihr steckt aber ein sehr intelligentes Mädchen, das erkennt, was mit ihm nicht stimmt, und das sich selbst immer wieder ausbremst.
Die Geschichte fesselt an die Seiten und polarisiert stark. Sie ist ebenso besonders wie ungewöhnlich, berührt aber auf eine ganz eigene Weise. So hatten sich Buch und Hauptprotagonistin am Ende dann doch meine Sympathien erschlichen, wenn auch still und heimlich. Ich hätte Anne Lise gerne herzlich gedrückt (bezweifele aber, dass sie das zugelassen hätte). 

Fazit
Zum Glück habe ich dieses Buch gelesen, auch wenn meine Review diesmal etwas persönlicher geworden ist. Denn "Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich" hat mich anfangs zweigespalten. Ich wollte die Hauptprotagonistin schubsen, fragte mich, was mit ihr nicht stimmt, hatte Verständnis ... um kurz darauf sehr irritiert mit dem Kopf zu schütteln. Die ironische Leichtigkeit des Covers ist im Buch erst auf den zweiten Blick zu finden, doch dann berührt Anne Lises sehr persönliche Geschichte tief. Der Sprachstil ist klasse und genau passend für dieses Buch. Es beschäftigt mich immer noch. Unbedingt ausprobieren! 4 von 5 Punkte.

© Damaris Metzger, damarisliest.de



Reiheninfo (beide Romane als Einzeltitel lesbar):

Band 1 - Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich