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Freitag, 31. März 2017

"Der Koffer" von Robin Roe



Das Thema
"Wie viele Sterne?", hat Julians Vater immer gefragt, wenn er ihn abends ins Bett brachte. Zehntausend-Sterne-Tage waren die besten überhaupt. Doch Julians Eltern sind tot. Seit er bei seinem Onkel wohnt, ist ihm ist nichts geblieben als Geheimnisse und ein Koffer voller Erinnerungen. Als Julian seinem Pflegebruder Adam wiederbegegnet, ist er zunächst voller Glück. Adam, der so nett ist und so tollpatschig und trotzdem zu den Coolen gehört. Doch es ist schwierig Vertrauen zu fassen. Und je mehr Vertrauen Julian fasst, desto mehr kommt Adam hinter seine Geheimnisse. Das bringt sie beide in große Gefahr.

© Klappentext-, Cover- und Zitatrechte: Königskinder Verlag


Verrückt, auf wie viele verschiedenen Arten man Menschen vermissen kann. Man vermisst all die Dinge, die diese Menschen getan haben. Man vermisst die Menschen an sich. Und man vermisst die Bedeutung, die man selbst für diese Menschen gehabt hat. Weil damals, als sie noch da waren, alles, was du gesagt oder getan hast, toll und lustig und interessant war. Du vermisst, wie wichtig du diesen Menschen warst. - S. 118


Das Leseerlebnis
"Der Koffer" strahlt etwas aus. Eine düstere oder geheimnisvolle Anziehungskraft, die ich aber vor dem Lesen nicht richtig greifen konnte. Auch nicht in Verbindung mit dem Klappentext, bzw. der Buchbeschreibung. Und es könnte durchaus sein, dass das Buch an mir vorbeigegangen wäre, wäre es nicht eine persönliche Empfehlung gewesen und hätte ich mich nicht zusätzlich anhand der englischsprachigen Meinungen schlau gemacht. Zum Glück habe ich es gelesen! Wow! Robin Roes Debütroman ist ein Juwel. Mit einer Intensität, die ihresgleichen sucht.

Es dauerte kaum fünf Seiten, da war ich im Buch versunken und ihm völlig verfallen. Vordergründig, weil Hauptprotagonist Julian mir so leid tat, aber natürlich hauptsächlich, weil "Der Koffer" etwas ausstrahlt, dem man sich nicht entziehen kann. Ist es Empathie oder Freude? Trauer oder Hoffnung? Wahrscheinlich von jedem etwas. Und diese Attributen zu einem Gesamtwerk zu verbinden, ist eine Herausforderung, die der Autorin hervorragend gelungen ist.
Es gibt zwei Hauptcharaktere, aus deren Sicht die Geschichte auch erzählt wird - Julian (14) und Adam (18). Wobei ich behaupten möchte, dass der Fokus ein klein wenig mehr auf Julian liegt, im Grunde ist es seine Geschichte. Die beiden Jungen, laufen sich nach fünf Jahren wieder über den Weg. Sie kennen sich aus der Zeit, als Julian der Pflegebruder von Adam war. Jeder der Jungen hat ein Päckchen, oder besser ausgedrückt, Paket (!) zu tragen. Und auch hier würde ich sagen, dass Julians Last schwerer ist. Es ist so wunderbar, das beide Jungen weit abseits aller Klischees dargestellt sind. So hat Adam z.B. ADHS. Das Krankheitsbild wird oft gleichgesetzt mit Unruhe, Anspannung und Störenfrieden, dabei ist Adam wohl einer der bemerkenswertesten und liebenswertesten Buchhelden, über die ich je gelesen habe. Er wird für Julian, dessen Eltern gestorben sind und der bei seinem Onkel wohnen muss, zum sprichwörtlichen Rettungsanker.

Julian hat Bindungsängste, diverse Lernschwächen und ist sehr kindlich in seiner Entwicklung. Wenn man das Buch liest, weiß man auch, warum das bei ihm so ausgeprägt ist und wie es dazu kam. Er ist nicht ganz einfach, manchmal sogar stur, dann wieder völlig unsicher, gehört aber zu den Charakteren, die man ganz stark ins Herz schließt und nie wieder daraus entlassen will. (Gerade ist er übrigens wieder da, der dicke Klos im Hals, den ich während des Lesens kaum herunterschlucken konnte.)
Schon nach dem ersten Kapitel konnte ich mit etwas Vorstellungskraft erahnen, dass das Buch eine Tragik entwickelt, die sehr schwer auf die Seele drücken wird. Kaum ermessen ließ sich allerdings, welche Ausmaße das Ganze annehmen würde. Für den normaldenkenden Menschen sind manche Szenen kaum auszuhalten. Zum Glück gibt es immer wieder schöne Momente, sogar Humor und Hoffnungsinseln, auf denen sich Leser und Charaktere erholen können.
Eine Überlegung meinerseits, ist, ob eine dramatische Begebenheit am Ende wirklich hätte sein müssen, ob man die Szene nicht auch weniger actiongeladen hätte lösen können. Die Spannung steigerte sich hier nochmals enorm, schlussendlich beurteilt das jeder Leser wohl individuell. An der hohen Qualität des Buches ändert sich dadurch nichts. Man darf auch ruhig erwähnen, dass die Geschichte sehr passend und gut-hoffnungsvoll beendet wird. Hier wurde alles richtig gemacht!

Das Fazit
"Der Koffer" steht nicht nur symbolisch für Julians Erinnerungen, auch jeder Leser dieses Buches wird sich sein Leben lang an die Geschichte erinnern. Es ist ein Buch, bei dem man manchmal am liebsten wegsehen würde, es aber zum Glück nicht darf. Ein Buch, das für Liebe, Hilfsbereitschaft und Hoffnung steht, und sich weit weg von oberflächlichen Klischees bewegt. Die Charaktere begeistern allesamt, die Geschichte schreibt sich tief ins Herz. 5 von 5 Sterne gibt es von mir - oder wie Julian sagen würde: "Zehn Millionen Sterne."


© Damaris Metzger, www.damarisliest.de


Königskinder Verlag (März 2017) - Hardcover mit Schutzumschlag, 416 Seiten - 19,99 € [D]
Originaltitel: A List of Cages - Übersetzt von Sonja Finck - ab 16 Jahren