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Freitag, 2. Oktober 2020

"Der letzte Papierkranich: Eine Geschichte aus Hiroshima" von Kerry Drewery



Das Thema
Ichiro und sein bester Freund Hiro überleben den Atombombenabwurf auf Hiroshima. Verwundet und zerrüttet begeben sich die beiden Teenager auf die Suche nach ihren Familien. Schließlich finden sie Keiko, Hiros fünfjährige Schwester. Doch das kleine Mädchen geht in dem Chaos der völlig zerstörten Stadt verloren. Ihr Verbleib und Schicksal lässt Ichiro nicht mehr los, hatte er doch Hiro, kurz bevor dieser starb, versprochen, auf die Kleine aufzupassen. Einige Wochen später kehrt er zurück an den Ort des Grauens und begibt sich auf die Suche nach ihr. Überall hinterlässt er Origami-Papierkraniche mit seiner Adresse - in der Hoffnung, dass Keiko überlebt hat ...

© Klappentext-, Cover- und Zitatrechte: Arctis Verlag


Aus dem Augenwinkel sehe ich Hiro, der zum Fenster geht.
"Ein B-29-Bomber", stellt er fest. "Aber nur einer."
Mein Finger liegt auf Seite dreihundertachtundvierzig und markiert das letzte Wort, das ich im "Davor" lesen werde, während ich das deutliche und vertraute Brummen des amerikanischen Flugzeugs höre.
Hiro dreht sich zu mir um. "Da ist irgendwas ..."
Der Rest seines Satzes verbrennt im alles verschlingenden Weiß. - S. 32/33


Das Leseerlebnis
Romane mit geschichtlichem Hintergrund lese ich sehr gerne. Da ist einmal dieser Gedanke der Erinnerung oder des Nicht-Vergessens, aber auch die Neugierde darauf, wie Autor*innen ihre Ideen umsetzten. Wie das geschichtliche Ereignis ins Leseerlebnis passt. Natürlich kenne ich die Hintergründe und Tatsachen des Atombombenabwurfs in Hiroshima. Und natürlich kann ich dann auch davon ausgehen, dass "Der letzte Papierkranich" keine fröhliche Unterhaltung werden wird. Kerry Drewery war es ein großes Anliegen, ihre Geschichte zu erzählen. Das liest man nicht nur im Vorwort, das spürt man mit jeder Zeile. Es geht um Angst, um Schuld und um Liebe - inmitten und nach einer Katastrophe, die durch nichts zu rechtfertigen ist.

Der Klappentext macht schon deutlich, dass dieses Buch sehr zu Herzen gehen könnte ... und das tut es! Er beschreibt die Geschichte aber auch ein kleinwenig einseitig. Die die Erzählart, die Autorin Kerry Drewery gewählt hat, ist weitaus kreativer und umfassender. "Der letzte Papierkranich" startet mit Mizuki, der auffällt, dass ihr Großvater sich immer mehr in sich zurückzieht, dass ihm jegliche Lebensfreude fehlt und er immer traurig oder verärgert wirkt. Erzählen möchte er Mizuki nichts, doch irgendwann gelingt es ihr doch zu ihm durchzudringen und Großvater Ichiro erzählt seine Geschichte ... um sie sich von der Seele zu reden und damit jemand sich immer daran erinnern kann. Jetzt startet die eigentliche Geschichte von Ichiro, der nach der Katastrophe von Hiroshima versprochen hatte, sich um die kleine Schwester seines toten Freundes zu kümmern. Der dieses Versprechen aber nicht halten konnte.

Die Geschichten, es sind ja zwei, sind in ein Heute und ein Damals aufgeteilt. Die Heute-Geschichte wird in Prosa und Versen erzählt. Optisch gleicht sie einer Gedichtform, lässt sich aber wie ein Fließtext mit besonderer Ausdruckskraft lesen. Die Damals-Geschichte hat die Autorin im normalen Textstil verfasst. Sie liest sich so eindrücklich-erschütternd, verzweifelt und gleichzeitig liebevoll, dass mir des Öfteren ein dicker Klos im Hals saß. Es ist teilweise kaum zu ertragen, was in Hiroshima geschah, wie viele Opfer es gab, was den Menschen damit angetan wurde und was Überlebende erleiden mussten. Die körperlichen Verletzungen waren schlimm, die der Seele noch viel schlimmer. Das verdeutlicht die Geschichte gut. Gleichzeitig wurde die Legende der 1000 Origami-Kraniche in die Geschichte integriert. Außerdem wird sie von beeindruckenden Illustrationen von Natsko Seki begleitet.
Das wunderschöne, aber bittere Ende rührte mich zu Tränen. Wer mag, kann sich danach selbst in der Faltkunst eines Origami-Kranichs versuchen. Auf den letzten Seiten gibt es eine Anleitung dafür.

Das Fazit
"Der letzte Papierkranich: Eine Geschichte aus Hiroshima" gehört zu den Büchern, vor denen man vor dem Lesen ein klein wenig Angst hat. Angst, weil man genau weiß, dass es sich hier um bedrückende und auch erschütternde Lesekost handeln wird. Und dann ist dieses Buch aber auch so wertvoll und gut. Nicht nur, weil es perfekt geschrieben und gestaltet ist, sondern auch, weil das Ende, und damit die Aussage, zutiefst berührt: Schuld ist nicht unendlich. Es gibt Hoffnung, immer. 5 von 5 Sterne hat dieses Buch uneingeschränkt verdient.


© Damaris Metzger, www.damarisliest.de


Arctis Verlag (Juli 2020) - Hardcover, 304 Seiten - 19,00 € [D]
Originaltitel: The Last Paper Crane - Übersetzt von Meritxell Janina Piel - ab 14 Jahren