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Donnerstag, 14. Juli 2016

Review zu "Zum Glück braucht mich niemand" von Liv Marit Weberg



FISCHER Sauerländer (Juni 2016), Band 2,
Hardcover, 208 Seiten,
übersetzt von Nora Pröfrock,
13,99 € [D]


Anne Lise ist eigentlich zu schüchtern für eine Beziehung, aber so verliebt, dass es kaum auszuhalten ist. Deshalb zieht sie Hals über Kopf mit ihrem frischgebackenen Freund Stian zusammen. Die beiden schmeißen ihr Studium in Oslo, um mitten in der Pampa eine Tierhandlung zu übernehmen. Doch Stian kümmert sich mehr um die Tiere als um Anne Lise. Die ist natürlich stinksauer - wozu will er eigentlich überhaupt eine Freundin? Doch wie soll man sich streiten, wenn man eigentlich schon zum Küssen zu schüchtern ist? Und soll das jetzt etwa die große Liebe sein? Um herauszufinden, was man vom Leben eigentlich will, ist abhauen immer noch die beste Lösung - zumindest, wenn es nach Anne Lise geht ... (Text-, Cover- und Zitatrechte: FISCHER Sauerländer)


Warum zum Teufel werde ich nicht überfahren?
Ich bekomme mehrmals pro Tag das Leben neu geschenkt und bin kein bisschen dankbar.
Und währenddessen steht Brille auf der Arbeit an der Kasse und pfeift oder liegt neben mir und schnarcht oder geht neben mir her und hält meine Hand.
Er ist da, die ganze Zeit. Und nichts hat sich verbessert.
- S. 14


Meine Meinung
Ich gebe zu, ich war überrascht. Liv Marit Webergs Debüt "Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich" war ein herausfordernder Roman, dessen ironische Leichtigkeit erst auf den zweiten Blick zu finden war. Das lag einzig und alleine an Hauptprotagonistin Anne Lise. Einen Charakter wie sie hatte ich in Büchern zuvor noch nie kennengelernt. Der Roman war abgeschlossen. Doch jetzt erschien ein zweiter Teil, "Zum Glück braucht mich niemand", bei dem ich vorwegnehmen kann, dass man ihn komplett als Einzeltitel lesen kann. Vorkenntnisse benötigt man nicht. Doch schadet es nicht, wenn man weiß, auf was man sich beim Lesen einlässt.

Anne Lise, das gehemmte, megaschüchterne Mädchen mit der Persönlichkeitsstörung (einzig so war ihr Verhalten für mich zu erklären) scheint einen guten Weg gefunden zu haben, ihr Leben anzunehmen und bewältigen zu können. Sie mag ihren Freund Stian/Brille und sie mag Tiere. Und das Schicksal meinte es gut, denn Anne Lise und Stian bekamen die Möglichkeit, eine Tierhandlung zu übernehmen. Glücklich ist Anne Lise jedoch bei weitem nicht. Sie haut ab.

Ich will überhaupt nichts lernen, ich will einfach nur, dass die Tage vergehen
und mein Leben irgendwann vorbei ist.
- S. 38

"Zum Glück bemerkt mich niemand" ist schon ein ganz eigenes Kaliber. Bei der kindlich-naiven Sprache, gepaart mit dem Verhalten von Anne Lise, dachte ich erneut an Autismus, doch dafür ist Anne Lise nicht strukturiert genug. Zu ihrer allgemeinen Gehemmtheit/Schüchternheit Menschen gegenüber, kommt hier noch eine Depression. Anne Lise beschäftigt sich fortlaufend mit den Gedanken, dass andere sie und ihre verschrobene Art ertragen müssen, dass sie von niemandem gebraucht wird, und dass sie ihr Leben überhaupt nicht als lebenswert empfindet. An einigen Stellen habe ich mich richtig erschrocken.

Erfreulicherweise findet Anne Lise Freunde, bzw. knüpft Kontakte, von denen sie profitieren kann. Zwar animiert ihr Verhalten oft zum Kopfschütteln, doch Anne Lise hat eine unnahbar-amüsante Art, bei der man gerne schmunzelt. Dafür muss man sie aber annehmen, wie sie ist. Sehr besonders ist auch, dass man den Namen Anne Lise im Buch kein einziges Mal liest. Man kennt ihn nur vom Klappentext (und evtl. aus dem ersten Roman).
Am Ende entlässt die Autorin ihre schüchterne Protagonistin auf eine gute Art und Weise. Der Schluss kam relativ schnell, und hat mich sehr gerührt.

Fazit
Ein Buch wie "Zum Glück braucht mich niemand" zu veröffentlichen, erfordert eine große Portion Mut. Die Geschichte ist einfach und stilistisch einfach-klasse. Das kombiniert die Autorin mit einer schwierigen Protagonistin, deren Verhalten und Gedankengänge nicht jedem Leser zuträglich sein dürften. Meinen Respekt und mein Wohlwollen hat sich Anne Lise verdient, die sich hier, trotz starker persönlicher Defizite, mit einer selbstkritischen Ironie, durch die Geschichte kämpft. Es lohnt sich, sich mit diesem Buch auseinanderzusetzen. 4 von 5 Punkte von mir.

© Damaris Metzger, damarisliest.de



Reiheninfo (beide Romane als Einzeltitel lesbar):

Band 2 - Zum Glück braucht mich niemand