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Mittwoch, 4. Januar 2012

Rezension zu "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" von Ali Shaw



Verlag: scipt5 (Januar 2012)
Originaltitel: The Girl With Glass Feet
Übersetzer: Sandra Knuffinke & Jessika Komina
Reihe: -
Ausführung: Hardcover/SU, 400 S.
ISBN: 978-3839001318
19,95 € [D]

Genre: Urban-Fantasy


Klappentext
Seltsame Dinge gehen auf St. Hauda´s Land vor: Eigentümliche geflügelte Kreaturen schwirren umher, in schneebedeckten Wäldern versteckt sich ein Tier, das mit seinem Blick alles in Weiß verwandelt, im Meer sind wundersame Feuerwerke zu beobachten … und Ida Maclaird verwandelt sich langsam, von den Füßen aufwärts, zu Glas.
Nun kehrt sie an den Ort zurück, wo alles begann, in der Hoffnung, hier Hilfe zu finden. Doch stattdessen findet sie die große Liebe: Mit ihrer traurigen und trotzigen Art schafft Ida es, die Knoten in Midas‘ Herzen zu lösen. Gemeinsam versuchen sie nun, das Glas aufzuhalten. (Text- und Bildquelle: scipt5)

Über den Autor
Ali Shaw wurde 1982 geboren und wuchs in einer kleinen Stadt in Dorset, Großbritannien, auf. Nach seinem Abschluss in Englischer Literatur an der Universität von Lancaster arbeitete er als Buchhändler und in einer Bibliothek in Oxford. Sein Debüt "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" war ein großer Überraschungserfolg und wurde in 18 Sprachen übersetzt. Gerade hat Ali Shaw seinen zweiten Roman beendet.

Rezension

Der erste Satz: In jenem Winter berichteten die Zeitungen über einen Eisberg von der Größe einer Galeone, der voll knirschender Erhabenheit an den Klippen von St. Hauda's Land vorbeitrieb, über ein Wildschwein, das verirrte Wanderer aus dem Felsenlabyrinth unterhalb des Lomdendol Tor herausführte, über einen verblüfften Ornithologen, der in einem Schwarm von zweihundert Krähen fünf Albinos gezählt hatte.

Midas Crook ist ein schüchterner junger Mann. Er lebt zurückgezogen in seinem Haus auf der Inselgruppe St. Hauda's Land. Sein Vater beging Selbstmord und zu seiner Mutter hat er so gut wie nie Kontakt. Midas einzige Bezugspersonen sind sein bester Freund aus Kindertagen und dessen Tochter. Dafür lebt er für die Fotografie.
Als er an einem Tag das Spiel von Licht und Schatten im Wald fotografieren will, begegnet er Ida Maclaird. Auf den ersten Blick wirkt sie nicht besonders anziehend, sie schüchtert ihn eher noch mehr ein. Jedoch hat Midas sofort den starken Wunsch sie zu fotografieren. Von Idas Problem, weiß er zu dieser Zeit noch nichts.
Ida selbst lebt nicht auf St. Hauda's Land. Sie ist nur hier, weil ihre Fußspitzen sich vor kurzer Zeit in reines Glas verwandelt haben, das sich langsam aber sicher ausbreitet. Hilfe erhofft sie sich von einem verschrobenen alten Mann, dem sie bei einem früheren Aufenthalt schon einmal begegnet ist. Als Midas von Idas Glasfüßen erfährt, ist er überfordert, aber gleichzeitig auch sehr bemüht Ida zu helfen. Sie ist es nämlich, der es gelingt, durch Midas' Schüchternheit in sein Inneres zu sehen.

In einer Hängematte aus Moos, nicht größer als eine hohle Hand, schlief zwischen grün berindeten Ästen ein geflügelter Stier. Die papierdünnen Flügel auf dem Rücken gefaltet, kniete er zwischen den dunklen Fasern seines behelfsmäßigen Lagers und döste. - S. 54

Liest man den Klappentext, denkt man unweigerlich an ein Märchen. Vielleicht sogar an eine Art "Alice im Wunderland"- Geschichte. Dazu kommen noch Elemente wie das Tier, dass alles Erblickte in Weiß verwandelt, eine geflügelte Mini-Rinderherde oder Quallen, die sich beim Sterben im Wasser zu lebendigem Licht verwandeln. Klingt märchenhaft, ist es aber nur bedingt. Denn trotz dieser phantastischen Elemente wirkt die Geschichte nur wenig wie typische Fantasy, eher erstaunlich realitätsnah.

Der Schreibstil ist gut verständlich, aber anspruchsvoll. Ein ausladender Erzählstil, wenig Kommunikation und viele, viele Metaphern verlangen eine hohe Konzentration beim Lesen. Dafür sind Ausruck und Übersetzung perfekt! Die Geschichte brauchte etwas Zeit, bis sie ihre Wirkung entfaltet. Adjektive wie ruhig, melancholisch oder auch merkwürdig drängen sich förmlich auf. Gleichzeitig wirkt die Handlung aber auch so bildlich und real, dass die Grenzen zu Phantastik zu verschwimmen scheinen. Die Wirkung kommt prompt, reißt einen mit und wirkt noch lange nach.

Alle vorkommenden Personen wurden von Ali Shaw beeindruckend feinfühlig dargestellt. Ganz vorne natürlich Midas und Ida. Beide sind keine "einfachen" Charaktere und würden so, in anderer Lektüre, vielleicht manches Kopfschütteln ernten. Hier passen sie, wie die Faust aufs Auge. Trotz ihren Eigenheiten, sind sie liebenswürdige Persönlichkeiten, die sofort die Sympathien der Leser genießen.
Midas wirkt sehr verklemmt und unsicher. Durch seine Wortkargheit macht er es sich selbst nicht leichter. Während der Leser Midas Geschichte erfährt, werden seine Charaktereigenschaften so plausibel, das damit vollstes Verständnis einhergeht. Man merkt aber auch, dass in ihm ein fürsorgliches Herz schlummert, wenn auch sehr versteckt und schwer zu erreichen.
Ida ist hier der perfekte Gegenpol. Sie ist sehr direkt und offen, aber auch sehr verletzlich. Die Gründe dafür liegen hauptsächlich in ihrem fortschreitenden Problem, dass sie sich zu Glas verwandelt und die Konsequenzen anfangs schlecht einschätzen kann.
Die Erzählperspektive wechselt zwischen Midas, Ida und vielen Personen, die in ihrem Umfeld vorkommen. Manchmal wünscht man sich, der Autor hätte sich mehr auf die zwei Hauptcharaktere konzentriert, denn die Haupthandlung liegt bei ihnen. Am Schluss ergeben aber gerade die verschiedenen Gedankenzweige ein vollständiges Bild. Dadurch wirkt die Geschichte komplett.

"Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" ist anders als vieles, was man bisher gelesen hat. An vielen Stellen ist man schlichtweg fasziniert. Fasziniert von der einfachen Ehrlichkeit, fasziniert von der glaubwürdigen Traurigkeit gepaart mit Hoffnung, und fasziniert von dem Aspekt mit dem Glas, dass einen Körper langsam - aber sicher - verwandelt. Einige Beschreibungen, bezogen auf das Glas, sind realistischer, als gedacht. Im Buch liegt die Lösung auch nicht auf der Hand. Die Handlung ist nicht vorhersehbar und gerade zum Schluss sehr überraschend. Das Buch ist als Einzelband abgeschlossen.
Wer Action oder schnulzige Romantik-Fantasy sucht, ist bei diesem Buch fehl am Platz. Derjenige, der sich auf ruhig-gefühlvolle Fantasy einlassen will, der ein Buch komplett ohne Kitsch sucht, - das gleichzeitig aber sehr tiefgründig ist -, wird "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" lieben (es hegen und pflegen und sich nie von ihm trennen!).

Persönliches Fazit
"Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" gehört, rein optisch, zu den schönsten Büchern in meinem Regal. Der funkelnde Silberschnitt topt alles bisher Dagewesene, unterstreicht die kühle Aufmachung, und muss ganz klar hervorgehoben werden.
Wie schmeckte er mir nun, der Cocktail aus perfekter Optik und gefühlvoll-eindringlicher Geschichte? Bittersüß - also so, wie ein Cocktail sein soll! Zu bitter, um das Buch schnell hinunterzustürzen, und so süß, dass ich noch lange daran denken werde. Ich habe diesen Lesecocktail genossen und empfinde "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" als zerbrechlich, wie Glas und gleichzeitig wertvoll wie das Leben selbst. 5 Sterne!
Handlung: 4 / 5
Charaktere: 5 / 5
Lesespaß: 4,5 / 5
Preis/Leistung: 5 / 5

© Damaris Metzger, damarisliest.de


Bücher von Ali Shaw (jeweils Einzelbände):


"Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" (2012)