Das Thema
Gab es je ein abschreckenderes Beispiel für junge Bildungsreisende als Sir Henry Montague? Nach Montys Cavaliersreise wird der englische Adel seine Sprösslinge bestimmt nie wieder auf den Kontinent schicken! Irgendwie ist Monty immer in eine Tändelei verwickelt oder betrunken oder zur falschen Zeit am falschen Ort nackt (in Versailles! Am Hof des Königs!). Zwischen Paris und Marseille verlieren Monty, Percy und Felicity auch noch ihren Hofmeister, kämpfen gegen Wegelagerer und Piraten, gegeneinander (Monty und Felicity) oder gegen ihre Gefühle füreinander (Monty und Percy). Aber am Ende dieser abenteuerlichen Reise finden sie alle drei nicht nur zueinander, sondern auch zu sich selbst.
© Klappentext-, Cover- und Zitatrechte: Königskinder Verlag
"Eins noch", sagt er. Ich drehe mich zögernd um, und er winkt mich noch einmal nah zu sich heran. So nah bei ihm spüre ich immer den Drang, mich wegzuducken. Vater schaut verstohlen zur Tür, durch die Lockwood schon längst verschwunden ist, und zischt mir zu: "Wenn mir nur eine Silbe davon zu Ohren kommt, dass du dich wieder mit Jungen einlässt, sei es auf Reisen oder nach deiner Rückkehr, enterbe ich dich. Unwiderruflich. Ohne weitere Unterredung."
So weit seine väterlichen Abschiedsworte. - S. 27
Das Leseerlebnis
Das Prinzip - oder besser der Trend - der Cavaliersreise, sehr bedeutend rund um das 18. Jahrhundert, war mir bis dato eher unbekannt. Wohlhabende englische Adelige schickten ihre Söhne (manchmal auch Töchter), nach deren Schulabschluss auf Bildungsreise durch Europa, bevor sie ihren heimatlichen Pflichten, dem Ernst des Lebens, nachkommen mussten. Für die jungen Menschen war dies meist Bildung und Vergnügen zugleich. Genau davon handelt "Cavaliersreise" und ist dabei noch so viel mehr ...
Lord Henry Montague, genannt Monty, Vicomte und der zukünftige Graf von Disley, wird von seinem Vater auf Bildungsreise geschickt. Danach soll er die Geschäfte führen und das Anwesen der Familie verwalten. Begleitet wird Monty von Percy, seinem Jugendfreund, und seiner ungeliebten Schwester Felicity. Monty ist ein Lebemensch, ein Schnösel, und möchte die Reise dazu nutzen, um nochmal richtig schön "die Sau rauszulassen", bevor er seinen familiären Pflichten nachkommen muss. Wären da nicht seine Gefühle für Percy und würde die Cavaliersreise nicht völlig anders verlaufen als geplant.
Von Beginn an hat mich die exzellente Sprache in ihren Bann gezogen, so sehr, dass ich richtiggehend begeistert war. Sie klingt altertümlich, jedoch sehr gut lesbar, erinnert an Klassiker der Literatur (ist aber kein Altdeutsch, das würden wir heutzutage nicht mehr richtig verstehen), und verwendet viele Wörter, die wir heute nicht mehr gebrauchen, aber gut verstehen können. Das bringt ein ganz besonderes und hochwertiges Flair mit sich. Die Autorin hat die Sprache modern und mit viel Humor gestaltet, bzw. wurde sie aufs Allerbeste übersetzt, so dass das Lesen enorm viel Spaß macht. Ich bin fasziniert davon, dass eine junge Autorin heute noch so geschliffen schreiben kann und eine Übersetzerin solch ein fantastisches Ergebnis liefert.
Die Reise von Monty, Percy und Felicity geht bald ganz eigene Weg, bzw. führt in eine Richtung, die sich selbst die Hauptcharaktere nicht hätten träumen lassen. Das ist total spannend, mit vielen Überraschungen und nervenaufreibenden Szenen (bei denen man oft bis über beide Ohren grinsen muss), aber auch der Darstellung einer tief gehenden Gefühlswelt der Protagonisten, vor allem der von Monty. Die Autorin hat über das Grundthema Cavaliersreise nicht nur eine unglaublich gute Geschichte geschrieben, sie thematisiert auch die queere Kultur und Rassenkonflikte im Europa des 18. Jahrhunderts und sogar den Mythos um die Wunder Alchemisten. Am Ende bleibt der Eindruck eines großartigen, sehr gefühlvollen und humorvollen Gesamtwerkes. Dafür meine Hochachtung!
Das Fazit
Die besten Bücher sind die, bei denen ich nur schwer auf den Inhalt schließen kann und die mich dann völlig überraschen und begeistern. "Cavaliersreise: Die Bekenntnisse eines Gentlemans" darf sich in diese Sparte einreihen. Das Buch hat alles, was man von guter Literatur erwarten kann: Eine Geschichte, die altertümlich und modern gleichermaßen ist, deren Romantik mitten ins Herz trifft, die sogar etwas Phantastik und viel Spannung enthält und über deren Humor man auch mal herzlich lachen kann. Das alles ist in einer exzellent geschliffenen Sprache erzählt, die ihresgleichen sucht. Jeder sollte "Cavaliersreise" lesen! 5 von 5 Sterne Höchstwertung gibt es von mir.
© Damaris Metzger, www.damarisliest.de
Königskinder Verlag (März 2017) - Hardcover mit Schutzumschlag, 496 Seiten - 19,99 € [D]
Originaltitel: The Gentleman's Guide to Vice and Virtue - Übersetzt von Gesine Schröder - ab 16 Jahren