Das Thema
Seit Jims ungeklärtem Tod hat Bee keinen ihrer Freunde mehr gesprochen. Als sich die fünf ein Jahr später in einem noblen Wochenendhaus an der Küste wiedertreffen, entgehen sie nachts nur knapp einem Autounfall. Unter Schock und vom Regen durchnässt kehren sie ins Haus zurück. Doch dann klopft ein geheimnisvoller Unbekannter an die Tür und eröffnet ihnen das Unfassbare: Der Unfall ist wirklich passiert und es gibt nur einen Überlebenden. Die Freunde sind in einer Zeitschleife zwischen Tod und Leben gefangen, in der sie dieselben elf Stunden immer wieder durchlaufen - bis sie sich geeinigt haben, wer von ihnen überlebt.
© Klappentext-, Cover- und Zitatrechte: Carlsen Verlag
"Ich bin kein Nachbar."
Wieder musterte er uns, diesmal abwartend.
"Es wäre wirklich am besten, wenn ich hereinkäme, um es euch zu erklären."
"Sagen sie uns hier, was Sie wollen", erwiderte Cannon.
Der Mann nickte. Er wirkte nicht überrascht. [...]
Er hatte keinen Schirm bei sich und es stand kein fremdes Auto in der Einfahrt. Wie war er dann hierhergekommen, ohne auch nur einen Tropfen abzukriegen? Die Frage hing beunruhigend in der Luft wie ein diffuser Gasgeruch.
"Ihr seid alle tot", sagte er. - S. 41/42
Das Leseerlebnis
Marisha Pessls Romane sind hochwertig und werden von vielen Leser*innen sehr geschätzt. Mit "Niemalswelt" wagt die Autorin etwas Neues, denn das Buch ist ihr erster Roman für Jugendliche und junge Erwachsene. Für mich ein ganz klassischer All-Age-Titel, dessen Beschreibung mich sofort in den Bann zog. Ist das Buch ein Mystery-Thriller, ein Zeitreiseroman oder eine düstere Gesellschaftskritik? Diese Frage stellte ich mir zu Beginn, konnte aber nicht richtig festmachen, mit was ich zu rechnen hatte. Vielleicht steckt ein bisschen etwas von allem in der Geschichte. Losgelassen hat sie mich zu keiner Sekunde. Für mich ist es eine der besten Geschichte in diesem Genre. So gut, dass man sie am liebsten sofort nochmal lesen möchte.
Beatrice hatte bei ihren Freunden schon immer einen Sonderstatus: Schwester Bee - gut, nett und mit blütenreiner Weste. Auch wenn Bees Freunde zumeist aus immens reichem Elternhaus kamen, waren sie doch beste Freunde und eine eingeschworene Clique. Bis zu Jims Tod, der immer irgendwie mysteriös und ungeklärt blieb. Seit diesem Zeitpunkt hatte Bee mit keinem ihrer Freunde mehr gesprochen. Ein Jahr später wagt sie es und sucht die vier anlässlich einer Feier in einer Villa an der Küste auf. Vielleicht hofft Bee auf einen Neuanfang. Gleich zu Beginn entgehen die wiedervereinten Freunde nur knapp einem Autounfall.
Und dann ist das Grundthema schnell erklärt: Ein Mann taucht auf, der sich als Wächter vorstellt und den Freunden erklärt, dass der Unfall tatsächlich passiert ist, sie eigentlich alle tot wären. Stattdessen sind sie nun in einer Art Zeitschleife gefangen, der Niemalswelt, bis sie sich per Abstimmung entscheiden, wer von ihnen überleben wird.
Das klingt sehr strange und gruselig, fast schon albtraumhaft, und das ist es auch. Ab dieses Zeitpunkt kam ich kaum zum Luftholen, wurde hin- und hergerissen zwischen düsterer Faszination, Spannung und schockierenden Momenten. Wie die einzelnen Charaktere mit der Situation umgehen, ist einfach nur krass. Man möchte kaum hinsehen, kann aber auch nicht wegschauen. Denn es scheint kaum möglich, dass sie eine gültige Abstimmung für das Überleben einer einzelnen Person treffen können. Jeder hat etwas zu verbergen und ich war ständig am Rätseln, wie alles wohl ausgehen wird und was es mit dieser Niemalswelt wohl auf sich hat.
Marisha Pessl schreibt hochwertig und soghaft. Dabei lässt sie ihre Leser*innen aber nie im Regen stehen. Obwohl die Situation komplett abgefahren und kaum zu glauben ist, kann man der Story immer gut folgen. Am Ende war ich komplett glücklich mit dem Buch, denn es hat einen Schluss, der die Sache "aufklärt" oder so löst, dass ich mir alles gut erklären konnte. Zuvor wird man aber aufs heftigste durchgeschüttelt. Unglaublich gut!
Das Fazit
Mit "Niemalswelt" hatte ich ein faszinierendes und soghaftes Leseerlebnis wie lange nicht. Ich bin jetzt noch völlig vereinnahmt, die Geschichte ist ständig in meinen Gedanken. Kaum vorstellbar, dass sich irgendjemand dieser Mischung aus Mystery und (Psycho)-Thriller entziehen kann oder will. Man fühlt sich live dabei, spürt kaum, wie die Seiten dahinfliegen - ein echter Pageturner eben. Für mich genauso originell wie bahnbrechend ... und ein Highlight durch und durch. 5 von 5 Sterne vergebe ich dafür.
© Damaris Metzger, www.damarisliest.de
Carlsen Verlag (März 2019) - Hardcover mit Schutzumschlag, 384 Seiten - 18,00 € [D]
Originaltitel: Neverworld Wake - Übersetzt von Claudia Feldmann - ab 14 Jahren