Während eines Sommeraufenthaltes in Griechenland wird die Amerikanerin Chloe gekidnappt. Tag für Tag steht das einst selbstbewusste, lebensfrohe Mädchen nun Todesängste aus. Ihre Hilflosigkeit, die körperlichen Qualen durch einen der Entführer und die Einsamkeit treiben sie an den Rand des Wahnsinns. Zu Hause kämpft man für ihre Freilassung, doch hier gibt es nur einen, auf den sie sich verlassen kann. Nur einen, der ihr Überleben sichert. Einen, den sie wirklich liebt ... ihr Peiniger. (Text-, Cover- und Zitatquelle: cbt Verlag)
Meine Meinung
Das Stockholm-Syndrom definiert ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer ein positives und emotionales Verhältnis zu ihrem Entführer aufbauen. Sie können sich sogar in ihren Geiselnehmer verlieben und mit ihm kooperieren, entwickeln ein ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis und identifizieren sich mit den Motiven des Täters.
Das ist schon ziemlich harter Tobak, den Edeet Ravel uns hier präsentiert. Denn für Nicht-Betroffene ist der Zustand des Stockholm-Syndroms kaum nachzuvollziehen. Warum sollte ich mich in einen Menschen verlieben, der mich gewaltsam entführt hat, mir vielleicht sogar Böses will? In ihrem Roman möchte die Autorin einen Einblick in die Psyche eines Entführungsopfers geben.
Die Story geht damit los, dass Chloe für die polizeilichen Ermittlungen ihre Erlebnisse, während ihrer Gefangenschaft, haarklein aufschreiben soll. Sie ist somit die Ich-Erzählerin der Geschichte. Ich fand es sehr positiv, dass so schon zu Anfang klar war, wie Chloes Geiselnahme endet. Edeet Ravel konzentriert sich hier also nicht so sehr auf den Umstand, dass Chloe entführt wurde, sondern auf Chloes Gefühle - und darum geht es ja im Roman auch.
Man erfährt, warum Chloe und ihre Freundin in Griechenland an einem Freiwilligenprogramm teilnehmen, ihrer Hintergründe zu Hause und den Tathergang von ihrer Entführung. Chloe wird in ein Versteck außer Landes gebracht, wohin erfährt man nicht, man kann aber eigene Schlüsse ziehen. Alles liest sich sehr echt, obwohl man sich fragt, ob Chloes Gedanken während der Entführung realistisch sind. Immer wieder spielt sie alle möglichen Schreckensszenarien durch (Folter, Tod, sexuell motivierte Entführung, usw.). Ich behaupte an dieser Stelle einfach mal, dass meiner Meinung nach kein Entführungsopfer in den ersten Stunden zu diesen komplexen Gedankengängen fähig wäre. Zu verstörend gestaltet sich die Situation.
Die Gründe von Chloes Entführung werden bald aufgedeckt, sie sind plausibel und nicht abwegig. Auch ihre Lebensumstände während der Geiselnahme sind relativ gut. Sie wird bestens versorgt und bekommt alle möglichen Zusatzwünsche erfüllt. Bald schon verwandeln sich ihre Gedanken an Flucht in Sympathie für den einen Geiselnehmer, den sie immer zu Gesicht bekommt. Besonders nach einem etwas härteren Zwischenfall entwickelt sich zwischen den beiden eine Art Pfleger/Bedürftiger-Verhältnis.
War Chloe mir anfangs noch sehr sympathisch, nimmt dieses Gefühl schnell ab. Als sie ihrem Geiselnehmer (von dem man übrigens nie den Namen erfährt) bald sagt, dass sie ihn liebt, sanken Chloes Sympathiewerte bei mir sofort in den Keller. Wie kann sie nur? Allgemein sind alle ihre Gedanken zum Geiselnehmer wie von einer rosa Wolke umnebelt:
Ich saß auf dem Bett und schaute nach, was für Spiele auf dem Laptop waren: [...] Oh, da war auch ein Programm zum Italienischlernen; ich fand es nett, dass sich mein Geiselnehmer die Mühe gemacht hatte, es zu finden und zu installieren, und eine Woge der Zuneigung und Dankbarkeit überflutetet mich. - Chloe, S. 234
Doch genau das will die Autorin mit der Geschichte erreichen. Sie will darauf hinweisen, dass Chloes Gefühle nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Okay, ihr Geiselnehmer ist zudem noch sympathisch, ruhig, gutaussehend, umsorgend und liebenswert. Das sind alles Attribute, die Chloes Gefühle in ihrer widernatürlichen Situation - der Gefangenschaft - fördern. Ein klassisches Stockholm-Syndrom entwickelt sich. Für nicht betroffene Leser sind Chloes Gedanken und Gefühle allerdings vollkommen unverständlich.
Komischerweise weiß das auch Chloes Geiselnehmer. Er weißt sie mehrmals darauf hin, dass ihre Liebe nur die Folge der Geiselnahme ist. Chloe ist über diese "Unterstellung" sogar regelrecht empört. Für mich war allerdings die Tatsache abwegig, dass Chloes Geiselnehmer sich trotzdem auf sie einlässt und romantische Handlungen zulässt. Er denkt sehr rational und ist sich dessen bewusst, dass Chloe am Stockholm-Syndrom leidet. Und dann sagt er ihr, dass er sie auch liebt?
Das Buch ist zwar abgeschlossen, es endet aber relativ offen. Chloes jetzige Situation und ob sie erkennt, dass ihre Gefühle nur situationsbedingt waren - darüber kann man sich als Leser am Ende seine eigenen Gedanken machen. Man bekommt verschiedene mögliche (medizinische) Diagnosen. Für mich war die Sache aber zu jeder Zeit eindeutig.
Fazit
"Du liebst mich nicht" ist kein Tatsachenbericht. Das Buch schildert eine erfundene Begebenheit, die sich aber genau so ereignet haben könnte. Chloes Denkweise und das Ausleben ihrer Gefühle für ihren Geiselnehmer sind anstrengend. Die Autorin hat mit ihrem Roman das erreicht, was sie meiner Meinung nach wollte. Der Leser soll und wird erkennen, dass Chloes Gefühle sich aus der Situation ergeben haben und somit nicht echt sind. Dieser Einblick ist Edeet Ravel sehr gut gelungen. Darum eignet sich "Du liebst mich nicht" für alle Leser, die gerne mal Themen lesen, die über den Teller-, bzw. Buchrand, hinausgehen.
© Damaris Metzger, damarisliest.de
Es ist schwer zu beschreiben, wie es sich anfühlt, nicht mehr frei, sondern eingesperrt zu sein. Man verspürt ein gewaltiges, unerträgliches Verlangen hinauszukommen, und je klarer man erkennt, dass es nicht geht, desto stärker wird dieses Verlangen. - Chloe, S. 55
Die Story geht damit los, dass Chloe für die polizeilichen Ermittlungen ihre Erlebnisse, während ihrer Gefangenschaft, haarklein aufschreiben soll. Sie ist somit die Ich-Erzählerin der Geschichte. Ich fand es sehr positiv, dass so schon zu Anfang klar war, wie Chloes Geiselnahme endet. Edeet Ravel konzentriert sich hier also nicht so sehr auf den Umstand, dass Chloe entführt wurde, sondern auf Chloes Gefühle - und darum geht es ja im Roman auch.
Man erfährt, warum Chloe und ihre Freundin in Griechenland an einem Freiwilligenprogramm teilnehmen, ihrer Hintergründe zu Hause und den Tathergang von ihrer Entführung. Chloe wird in ein Versteck außer Landes gebracht, wohin erfährt man nicht, man kann aber eigene Schlüsse ziehen. Alles liest sich sehr echt, obwohl man sich fragt, ob Chloes Gedanken während der Entführung realistisch sind. Immer wieder spielt sie alle möglichen Schreckensszenarien durch (Folter, Tod, sexuell motivierte Entführung, usw.). Ich behaupte an dieser Stelle einfach mal, dass meiner Meinung nach kein Entführungsopfer in den ersten Stunden zu diesen komplexen Gedankengängen fähig wäre. Zu verstörend gestaltet sich die Situation.
Die Gründe von Chloes Entführung werden bald aufgedeckt, sie sind plausibel und nicht abwegig. Auch ihre Lebensumstände während der Geiselnahme sind relativ gut. Sie wird bestens versorgt und bekommt alle möglichen Zusatzwünsche erfüllt. Bald schon verwandeln sich ihre Gedanken an Flucht in Sympathie für den einen Geiselnehmer, den sie immer zu Gesicht bekommt. Besonders nach einem etwas härteren Zwischenfall entwickelt sich zwischen den beiden eine Art Pfleger/Bedürftiger-Verhältnis.
War Chloe mir anfangs noch sehr sympathisch, nimmt dieses Gefühl schnell ab. Als sie ihrem Geiselnehmer (von dem man übrigens nie den Namen erfährt) bald sagt, dass sie ihn liebt, sanken Chloes Sympathiewerte bei mir sofort in den Keller. Wie kann sie nur? Allgemein sind alle ihre Gedanken zum Geiselnehmer wie von einer rosa Wolke umnebelt:
Ich saß auf dem Bett und schaute nach, was für Spiele auf dem Laptop waren: [...] Oh, da war auch ein Programm zum Italienischlernen; ich fand es nett, dass sich mein Geiselnehmer die Mühe gemacht hatte, es zu finden und zu installieren, und eine Woge der Zuneigung und Dankbarkeit überflutetet mich. - Chloe, S. 234
Doch genau das will die Autorin mit der Geschichte erreichen. Sie will darauf hinweisen, dass Chloes Gefühle nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Okay, ihr Geiselnehmer ist zudem noch sympathisch, ruhig, gutaussehend, umsorgend und liebenswert. Das sind alles Attribute, die Chloes Gefühle in ihrer widernatürlichen Situation - der Gefangenschaft - fördern. Ein klassisches Stockholm-Syndrom entwickelt sich. Für nicht betroffene Leser sind Chloes Gedanken und Gefühle allerdings vollkommen unverständlich.
Komischerweise weiß das auch Chloes Geiselnehmer. Er weißt sie mehrmals darauf hin, dass ihre Liebe nur die Folge der Geiselnahme ist. Chloe ist über diese "Unterstellung" sogar regelrecht empört. Für mich war allerdings die Tatsache abwegig, dass Chloes Geiselnehmer sich trotzdem auf sie einlässt und romantische Handlungen zulässt. Er denkt sehr rational und ist sich dessen bewusst, dass Chloe am Stockholm-Syndrom leidet. Und dann sagt er ihr, dass er sie auch liebt?
Das Buch ist zwar abgeschlossen, es endet aber relativ offen. Chloes jetzige Situation und ob sie erkennt, dass ihre Gefühle nur situationsbedingt waren - darüber kann man sich als Leser am Ende seine eigenen Gedanken machen. Man bekommt verschiedene mögliche (medizinische) Diagnosen. Für mich war die Sache aber zu jeder Zeit eindeutig.
Fazit
"Du liebst mich nicht" ist kein Tatsachenbericht. Das Buch schildert eine erfundene Begebenheit, die sich aber genau so ereignet haben könnte. Chloes Denkweise und das Ausleben ihrer Gefühle für ihren Geiselnehmer sind anstrengend. Die Autorin hat mit ihrem Roman das erreicht, was sie meiner Meinung nach wollte. Der Leser soll und wird erkennen, dass Chloes Gefühle sich aus der Situation ergeben haben und somit nicht echt sind. Dieser Einblick ist Edeet Ravel sehr gut gelungen. Darum eignet sich "Du liebst mich nicht" für alle Leser, die gerne mal Themen lesen, die über den Teller-, bzw. Buchrand, hinausgehen.
© Damaris Metzger, damarisliest.de