Dieser All Age- und Jugendbuchblog wurde beendet. Schau dich jedoch gerne um! Infos dazu gibt es HIER.

Donnerstag, 13. Februar 2014

Rezension zu "Ich bin Tess" von Lottie Moggach



Verlag: script5 (Februar 2014)
Originaltitel: Kiss me first
Übersetzer: Jessika Komina & Sandra Knuffinke
Reihe: -
Ausführung: Hardcover/SU, 352 S.
ISBN: 978-3839001585
17,95 € [D]

Genre: Krimi, Drama

© Zitat- und Coverrechte: script5 Verlag


Das Thema
Nach dem Tod ihrer Mutter, ist Leila in eine kleine Wohnung im Londoner Bezirk Rotherhithe gezogen. Sie arbeitet zu Hause als Software-Testerin und auch ihre sonstige freie Zeit verbringt sie überwiegend im Internet. Nachdem sie nächtelang World of Warcraft gespielt hat, stößt sie auf die Webseite Red Pill. Im dortigen Forum tauschen sich die Mitglieder über besondere Ansichten, intellektuelle Themen oder ethische Fragen aus. Leila findet daran Gefallen und verbringt fortan ihre gesamte Onlinezeit im Red Pill-Forum. Nach einiger Zeit erhält sie vom Gründer der Seite eine Anfrage, in der er Leila um Hilfe bittet. Die lebensmüde Tess möchte "auschecken", ihr Leben selbstbestimmt beenden. Leila soll nach Tess' Tod deren Leben im World Wide Web übernehmen, ihre Identität bei Facebook annehmen, E-Mails beantworten, etc. - um Familie und Freunden großen Kummer zu ersparen.

Die Rezension

Der Anfang: Es war Freitagabend und das Projekt lief seit ungefähr neun Wochen.

Romane über Brennpunktthemen zu Internetaktiviäten, z.B. soziale Netzwerke und deren Auswirkungen, gibt es mittlerweile einige. Die Probleme, die mit diesen Themen einhergehen, eignen sich sehr gut als sensibler Lesestoff, der (vor allem) junge Leser ansprechen soll. Auch Lottie Moggachs Roman "Ich bin Tess" greift dieses Themengebiet auf, beschäftigt sich zudem aber noch mit einer großen Moral-, bzw. Ethikfrage: Hat der Mensch ein Recht darauf, sein Leben selbstbestimmt zu beenden? Und sollten wir Menschen mit diesem Wunsch unterstützen/helfen, wenn sie uns darum bitten? "Ich bin Tess" liefert keine Antwort auf diese Frage. Jeder Leser wird sich, sofern er sich mit diesem Thema auseinandersetzen mag, seine eigene Meinung dazu bilden können. Alle anderen erwartet ein hochwertig geschriebener Roman, der dieses empfindliche Thema spannend und unvoreingenommen aufgreift.

Sie lachte. "Ach, du bist so jung, du hast noch genug Zeit, Wart's nur ab." Dann seufzte sie und ihre Stimmung verdüsterte sich, wie so oft. "Aber dann, bevor du's merkst, bist du alt. Das Leben ist grässlich kurz, weißt du." - Tess, S. 110

Die Hauptprotagonistin und Erzählerin Leila befindet sich im Roman in einer Kommune in Spanien. Von dort aus schildert sie die zurückliegenden Ereignisse, erzählt dem Leser wie (und warum) sie für ein paar Monate die Identität von Tess angenommen hat. Dieses Erzählkonzept funktioniert hier sehr gut, weil Leila ihr Denken und Handeln sehr gezielt erklärt. Man kann sich gut in sie hineinversetzen, mit ihr einer Meinung sein, muss man aber bei Weitem nicht.
Wunderbar geschildert, ist die Rolle von Tess, einer manisch depressiven Frau, die den Wunsch hat zu sterben. Obwohl jegliche Kommunikation aus der Sicht von Leila geschildert wird, und man nicht selbst "in Tess' Kopf schauen kann", hat man das Gefühl, Tess bald sehr gut zu kennen.

Leila macht es dem Leser nicht gerade einfach. Nicht nur, dass sie den Auftrag annimmt, die suizidwillige Tess nach deren Tod zu imitieren (eindeutig eine Moralfrage, die viele Leser eindeutig mit Nein beantworten würden), im Laufe der Handlung stellt sie sich auch als relativ leicht beeinflussbar heraus. Sie ist hochintelligent, die Effizienz, mit der sie sich ihrer Aufgabe widmet, zu Tess zu werden, ist beeindruckend. Insgesamt wirkt sie etwas gefühlskalt. Zwar ist Leila eher stur und gibt nicht viel auf die Meinung außenstehender Personen, doch bei gewissen Dingen möchte man ihr das Offensichtliche geradezu ins Ohr schreien.
Obwohl man nicht unbedingt derselben Meinung wie Leila sein muss, ist ihr Handeln, so wie sie die Dinge sieht, stets plausibel. Einzig eine Tat in ihrer Vergangenheit löst komplettes Unverständnis aus. Es wird nicht genügend reflektiert und Leila kommt aus der Sache raus, ohne Reue zu empfinden oder zur Verantwortung gezogen zu werden.

"Ich bin Tess", sagt ich - schrie ich fast. Wie konnte es sein, dass er noch immer nicht begriff? "Verstehst du denn nicht? Ich bin Tess." - Leila, S. 297

"Ich bin Tess" ist ein spannendes Drama, das einige Attribute eines Krimis aufweist. Lottie Moggach setzt sich mich einem Thema auseinander, das viele kontroverse Diskussionen auslösen könnte, und integriert die Bedeutung sozialer Netzwerke und virtueller Kommunikation in die Geschichte. Beide Protagonistinnen, Leila, wie auch Tess, sind eine Herausforderung, deren Sicht der Dinge durchaus Beachtung verdient - auch, wenn diese Option für den Leser selbst kein Thema darstellt. Am Ende des abgeschlossenen Romans kann man Leilas Meinung perfekt zitieren: Ich glaube, ich fange langsam an zu akzeptieren, dass es im Leben nun mal nicht nur Schwarz und Weiß gibt, genauso wenig wie auf jede Frage eine Antwort. Es werden immer ein paar Grauzonen übrig bleiben und vielleicht ist das auch gar nicht so schlimm. (S. 348)

Das persönliche Fazit
Ein guter Roman muss nicht immer vollständig die eigene Meinung spiegeln. Diesen Satz konnte ich bei "Ich bin Tess" getrost so stehenlassen. Dasselbe gilt für die Charaktere und ich habe die Herausforderung Leila und Tess zu begleiten, ihre Denkweise zu erörtern, gerne angenommen. Die Geschichte ist interessant und sprachlich ausgezeichnet wiedergegeben. Für mich war das Buch mehr Drama als Krimi. Es lässt sich längenfrei lesen und lässt viel Spielraum für eigene Interpretationen am Ende. Das mag ich - 4 Sterne.

Aufmachung: 4 / 5
Handlung: 4 / 5
Charaktere: 4 / 5
Lesespaß: 3,5 / 5
Preis/Leistung: 4 / 5

© Damaris Metzger, damarisliest.de