Das Thema
Es sind die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs. Viele Tausend Menschen flüchten unerlaubt, schon vor der genehmigen Evakuierung. Denn die Rote Armee ist grausam, sie hinterlässt bei ihrem Marsch Richtung Westen eine Schneise der Gewalt, Gräueltaten und Verwüstung in Litauen, Ostpreußen und Polen.
Unter den Flüchtenden ist auch Florian, ein deutscher Deserteur, Emilia eine junge Polin, die vor Schrecklichem davonläuft und Joana, eine Krankenschwester aus Litauen. Das Ziel vieler Flüchtlinge ist ein Hafen, von dem aus Schiffe über die Ostsee nach Deutschland übersetzen sollen. Doch es sind so viele, dass eine Bordkarte zum Glücksspiel wird. Und auch auf See sind die Menschen noch lange nicht in Sicherheit.
© Cover- und Zitatrechte: Königskinder Verlag
Ich betrachtete die Anleger und malte mir alles aus. Die ganze Bevölkerung würde zur Küste strömen. In den Häfen würde Chaos herrschen. Soldaten hätten natürlich Vorrang. Man würde Flüchtlinge auswählen, registrieren und an Bord schaffen. Schon jetzt waren Tausende Verzweifelter mit Ochsenkarren eingetroffen, auf denen sich ihr Hausrat türmte. Sie waren ausgemergelt und sanken todmüde in den Schnee. Ich sah, wie ein Mann eine Kerze aß, so hungrig war er.
"Bitte, Matrose. Helfen Sie mir", flehten sie, wenn ich an ihnen vorbeikam.
Ja, ich würde helfen.
Vielleicht.
Jedenfalls manchen. - Alfred, S. 75
Das Leseerlebnis
Ich mache keinen Bogen um Bücher über den Zweiten Weltkrieg. Sie sind für mich ein Stück Geschichte und Erinnerung, aber und auch Mitgefühl und Entsetzen. Ich finde diese Romane wichtig, denn erinnern heißt wachsam bleiben.
Im Fall von "Salz für die See" fällt es mir zunehmend schwer, meine Gefühle in Worte zu fassen. Sie lassen mich nicht mehr los. Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll, außer: Lies dieses Buch!
Der Geschichte liegt eine Episode des Zweiten Weltkriegs zugrunde, über die nie vordergründig gesprochen wird. Nach dem Lesen fragt man sich alleine aufgrund der Brisanz, warum der Allgemeinheit darüber so wenig bekannt ist. Es geht um die letzten Tage des Krieges, die Evakuierung von Soldaten und Zivilisten über die Ostsee, um sie vor den anrückenden russischen Truppen in Sicherheit zu bringen. Dafür wurden Schiffe bereitgestellt, die Menschen mit deutscher Abstammung nach Hause holen sollten. Es waren jedoch viel zu wenige, um alle zu retten. Daraus resultierte die größte Katastrophe in der Geschichte der Seefahrt.
"Salz für die See" ist also ein fiktiver (Unterhaltungs-)Roman, der auf historische Tatsachen aufgebaut ist. Das Buch verlangt vom Leser eine große Portion Mut, gehört aber zu den allerbesten Geschichten - das behaupte ich jetzt einfach mal ganz frei heraus.
Drei Menschen treffen mehr oder weniger zufällig aufeinander und bilden einen kleinen Flüchtlingstreck, der es bis zur Küste und auf ein Schiff schaffen will. Der Deutsche Florian ist ein Deserteur und verfolgt private Rachepläne. Emilia, ein junges polnisches Mädchen, muss wegen ihrer Abstammung verdeckt flüchten. Und Joana, eine deutschstämmige Krankenschwester aus Litauen wird von tiefen Schuldgefühlen gegenüber ihrer Familie geplagt. Die Geschichte wird in einzelnen, kurzen Kapiteln aus der Sicht dieser drei Hauptcharaktere erzählt. Sie offenbaren nach und nach die Hintergründe, Geheimnisse und Beweggründe ihrer Flucht. Ein vierter Charakter ist der Matrose Alfred, der der Wilhelm Gustloff, eines der Rettungsschiffe, zugeteilt wurde. Seine Sicht der Dinge ließ mich sofort die Stirn runzeln, manchmal sogar laut lachen (vor Irritation?), und wurden zu einer solchen Wut, dass ich kaum wusste wohin damit.
Das Buch entwickelt ab den ersten Seiten einen Lesesog der Extraklasse. Es ist schriftstellerisch perfekt! Vor der Jahre andauernden Recherchearbeit der Autorin kann man nur den Hut ziehen. Der Ausdruck ist so punktgenau, dass die Gefühle beim Lesen schnell aus der Bahn geraten können. Krieg ist schrecklich! Die Umstände, mit denen man im Buch konfrontiert wird, sind schwerwiegend, einzelne Szenen kaum auszuhalten. Sie gehen sehr zu Herzen. Die Frage, wie so etwas jemals mit der Menschheit passieren konnte - verschuldet von wenigen, befolgt von vielen - nagte während der ganzen Geschichte an mir und ließ mich auch danach nicht los. Die Handlung lässt Schlimmes vermuten, man setzt es sogar voraus. Trotzdem konnte ich mich nicht stoppen zu lesen, war gebannt, berührt, beeindruckt und erschüttert. Das Ende ist wunderschön, auch wenn dieser Ausdruck bei aller Dramatik nicht angebracht scheint. Danach muss man sich sammeln, vielleicht beruhigen ... und wird "Salz für die See" als einen Schatz ins Regal stellen.
Das Fazit
Viel mehr bleibt nicht zu sagen. "Salz für die See" ist ein Herzensbuch und damit Pflichtlektüre für alle, die perfekt geschriebene Geschichten lesen möchten, die zutiefst bewegen und für immer nachklingen werden. Für alle, die sich beim Lesen gerne herausfordern lassen, mit einem Thema, aktueller denn je, vielleicht sogar über den persönlichen Komfortbereich hinaus. Es ist ein beeindruckendes Buch, das rundum begeistert und das Herz berührt. Lesen! Niemals weniger als 5 von 5 Sterne.
© Damaris Metzger, www.damarisliest.de
Königskinder Verlag (September 2016) - Hardcover mit Schutzumschlag, 416 Seiten - 19,99 € [D]
Originaltitel: Salt To The Sea - Übersetzt von Henning Ahrens - ab 14 Jahren
Ein spannendes Interview mit der Autorin hat Sandy vom Nightingale's Blog geführt. Mit vielen Informationen und Hintergründen zu "Salz für die See" ...
Im Gespräch mit Ruta Sepetys