Das Thema
Ein Brand in einer alten Lagerhalle. Am Tatort zwei Siebzehnjährige, einer davon mit Verbrennungen, die beide in die Psychiatrie eingeliefert werden.
Einige Monate zuvor: In der Schule hängen August und Jack mit völlig verschiedenen Typen rum, privat verbindet die beiden aber seit Langem eine intensive Freundschaft. Doch Jack, Vorzeigeschüler, Spitzensportler, Mädchenschwarm, entwickelt immer stärkere Halluzinationen und driftet mehr und mehr in eine Fantasiewelt ab. In dieser ist er der König, der "Wicker King", und August ist sein Ritter. Um Jack nah zu bleiben und zu verhindern, dass dieser sich endgültig in seiner Scheinwelt verliert, lässt sich August auf das Spiel ein ...
© Kappentext-, Cover- und Zitatrechte: dtv Verlagsgesellschaft
Rina schoss herum und blitzte ihn an. "Wenn du für ihn verantwortlich bist, dann solltest du auch so verantwortungsoll sein, dass Problem in Ordnung zu bringen. Wenn du auf ihn aufpasst, dann tu's gefälligst auch richtig", flüsterte sie in Rage.
"Was glaubst du wohl, was ich mache?", keifte August zurück.
"Ich glaube, du gibst dein Bestes." Rina warf das nasse Geschirrtuch in das Becken. "Aber das Beste zu geben, reicht manchmal nicht", sagte sie dann ein bisschen weniger heftig. "Manchmal muss man einfach aufhören und andere ihr Bestes geben lassen. Um selbst zu überleben." - S. 221
Das Leseerlebnis
Als ich Kayla Ancrums "Wicker King" zur Hand nahm, wusste ich wenig bis nichts über die Geschichte. Und dann ist da noch die einzigartig-besondere und herausragende Gestaltung des Buches, die nicht nur neugierig macht und dafür sorgt, dass man das Buch freudig beginnt, sondern die Geschichte so greifbar darstellt, dass sie den Leser mitten ins Buch zieht. "Wicker King" hat ein Thema, das nicht verschwiegen werden sollte, dessen Umsetzung jedoch wirklich hart und düster-bedrückend, eventuell auch verstörend sein kann. Ebenso wichtig wie das Thema ist die Tatsache, dass sich Leser darauf einstellen sollten, welch spezielle Geschichte da auf sie zukommt.
August und Jack sind schon immer befreundet, sehr intensiv befreundet. Und das, obwohl beide getrennte Freundeskreise haben und in der Schule zu verschiedenen Gruppierungen gehören. Privat ist es so, dass beide aus einem eher vernachlässigten Elternhaus kommen, unterschiedlich zwar, jedoch jeweils sehr problematisch. Daraus entwickelt sich eine gegenseitige Fürsorge, eine Art verpflichtende Abhängigkeit. Vor allem August hat das Gefühl, für Jack dasein zu wollen und auf ihn achtgeben zu müssen. Als Jack Halluzinationen entwickelt, und immer mehr in eine Fantasiewelt abdriftet, macht August dieses "Spiel" mit, vor allem, um Jack zu schützen. Eigentlich weiß August, dass Jack Hilfe braucht. Denn die Psychose wird nicht besser, sondern schlimmer ... und gefährlich für sie beide.
Hier muss ich erneut auf das Design des Buches eingehen, denn das flasht mich immer noch. Die Geschichte ist unterlegt mit Fotos, Illustrationen und Anmerkungen. Außerdem werden die Buchseiten immer dunkler, von weiß, unbefleckt, zu grau, wirr und dunkel bis schwarz. Das macht die Ereignisse der Geschichte, bzw. den Gemütszustand von Jack (und sicher auch August) sehr plastisch und sorgt für eine eindrucksvolle Leseatmosphäre.
Die Buchkapitel sind sehr kurz, die Sprache hat oft Gänsehautniveau. Das sogt dafür, dass man durch die Seiten rast, ohne die Grundstimmung und Schlüsselstellen aus den Augen zu verlieren. "Wicker King" lässt sich enorm vorwärtstreibend lesen. Dieses Buch ist wie ein Sog.
Ich glaube, dies ist eine der Geschichten, die beim Lesen kein gutes Gefühl im Bauch hinterlassen. Mich hat sie betroffen gemacht und stellenweise verunsichert. Vor allem die Hilfe, die Jack und August irgendwann bekommen (das ist wichtig zu wissen und kein Spoiler), empfand ich als nicht ganz zeitgemäß mit irgendwie offenem, ungewissen Ausgang für ihre Zukunft. Hier muss man die beiden definitiv loslassen. Durch den Lesesog kann man nicht wegsehen und weiß in etwa, worauf das Ganze zusteuert. Das ist spannend, aber nicht einfach zu verkraften. Die Anmerkung der Autorin am Ende ist Gold wert. Trotzdem wird man das Buch schließen und gedanklich immer wieder daran knabbern.
Das Fazit
"Wicker King" ist wohl eines der ungewöhnlichsten und soghaftesten Büchern, die ich bisher gelesen habe. Das Zusammenspiel von Geschichte und Buchgestaltung ist wahrscheinlich nicht zu übertreffen. Trotzdem sollten geneigte Leser wissen, dass die Thematik und ihre Umsetzung bedrücken, unter Umständen sogar verstören kann. Die Stimmung des Buches ist wirklich sehr düster und speziell. Mir gefiel's, aber das Gänsehautfeeling kommt jedes Mal wieder, wenn ich an die Geschichte denke. 4 von 5 Sterne vergeben ich dafür.
© Damaris Metzger, www.damarisliest.de
dtv Verlagsgesellschaft (September 2018) - Hardcover mit Schutzumschlag, 320 Seiten - 16,95 € [D]
Originaltitel: The Wicker King - Übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn - ab 14 Jahren