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Mittwoch, 28. Dezember 2016

Review zu "Dazwischen: ich" von Julya Rabinowich



Carl Hanser Verlag (August 2016),
Klappenbroschur, 256 Seiten,
15,00 € [D]


Das Los der 15-jährigen Madina teilen viele Flüchtlingskinder: Sie alle sind Brückenbauer zwischen ihren Familien und dem neuen Leben in der westlichen Welt. Nach einer beschwerlichen Flucht vor dem Krieg in ihrer Heimat ist Madina endlich angekommen, in einem Land, das Sicherheit verspricht. Doch nicht allen in ihrer Familie fällt es leicht, Fuß zu fassen. Und so ist es an Madina, Mittlerin zu sein zwischen ihrer Familie im Flüchtlingsheim und dem unbekannten Leben außerhalb. Sie nimmt das Schicksal ihrer Familie in die Hand und findet in Laura eine Freundin, die für sie in der Fremde Heimat bedeutet. (Text-, Cover- und Zitatrechte: Carl Hanser Verlag)


Ich war einerseits ganz glücklich und andererseits traurig. Hier kann Damals einfach nicht ersetzen. Gegenwart kann Vergangenheit nicht ersetzen. Ist einfach so. Gegenwart kann Vergangenheit nur abschwächen, sie verschleiern, sie überdecken. Dann spürt man sie nicht mehr so tief und schneidend. Aber sie ist dennoch da. - S. 119


Meine Meinung
Julya Rabinowich hat für ihren ersten Jugendroman ein brandaktuelles Thema gewählt. Sie erzählt von Madina, einem 15-jährigen Flüchtlingsmädchen, das mit seiner Familie in einem sicheren Land angekommen ist. Die Familie ist erleichtert, wird aber gleichzeitig vor ganz neue und ungewohnte Herausforderungen gestellt. Und die Autorin muss es wissen, denn sie ist als kleines Mädchen ebenfalls mit ihrer Familie emigriert. Wie authentisch und empfindsam Madinas Geschichte erzählt wird, hat mich während des Lesens immer wieder auf's Neue überrascht.

Aus welchem Land Madina und ihre Familie stammen, weiß der Leser nicht. Man kann es sich aber (leider!) sehr bildlich vorstellen. Auch das Ankunftsland wird nicht namentlich erwähnt, nur, dass es sich um ein sicheres Land in Europa handelt. Anhand von Kleinigkeiten in der Geschichte, wie eine Bergwanderung, Behördengänge oder den Schulalltag, kann man sich aber auch hier schnell festlegen.
Erzählt wird die Geschichte von Madina selbst. Wie ihre ganze Familie freut sie sich in Sicherheit zu sein, möchte für immer bleiben und sieht in dem neuen Land ihre Zukunft. Darum lernt sie fleißig die fremde Sprache, um sich gut verständigen zu können. Damit sind die Probleme aber nicht gelöst. Denn Madina erfährt nicht nur Ablehnung und Ungerechtigkeiten, sie wird auch verantwortlich für die gesamte Kommunikation ihrer Familie gegenüber Behörden und im Alltag. Obwohl sie positiv in die Zukunft schauen will, bleiben ihre Eltern hinter ihr zurück. Der Vater schottet sich frustriert ab, die Mutter schweigt hilflos und das Verhältnis zu ihrem kleinen Bruder ist konfliktreich.

Alle warten hier. Niemand hat etwas anderes zu tun. Bis der Startschuss zum Hierbleiben fällt. Dieses Warten ist so schwerelos wie Gegenstände im Weltraum. Kein Boden. Kein Oben, kein Unten. Die Erwachsenen kreisen um sich selbst, weil einfach nichts anderes da ist. Alle die noch nicht volljährig sind, haben es leichter. Wir dürfen etwas. Wir tun etwas. Die Erwachsenen kreisen um sich selbst, und wir sind Kometen, die zwischen Schule und Kindergarten und dem großen Warten hin- und herziehen. Das hilft. - S. 29

Im Buch geht es nicht nur um die offensichtlichen Schwierigkeiten einer Flüchtlingsfamilie nach ihrer Ankunft. Es geht um Ängste, die Verarbeitung von großem Leid, und um das Bewusstsein kultureller Unterschiede zwischen zwei völlig unterschiedlichen Ländern. Vor allem aber geht es um Madinas Ansichten, um ihre Gefühle. Sprachlich einzigartig und wunderbar speziell, entwickelt sich die Geschichte überraschend, vielleicht nicht immer verständlich, und auch tragisch. Madina wird regelrecht gezwungen über sich hinauszuwachsen und sich vom konventionellen Denken ihrer Familie zu lösen. Das Ende ist zielgerichtet und willensstark. Es stimmt nachdenklich und lässt das Buch noch lange nachklingen.

Fazit
"Dazwischen: ich" ist ein Goldstück der authentischen Jugendliteratur. Das Buch öffnet die Augen für Dinge, die oft außerhalb der persönlichen Komfortzone liegen. Um die sich Menschen wie du und ich keine Gedanken machen müssen. Die Geschichte ist sehr bewegend, mit großartigem Ausdruck und in einer exzellenten Sprache erzählt. Dabei ist sie nicht wertend und lässt Raum für eine eigene Meinungsbildung. 4,5 von 5 Punkte gibt es dafür von mir.

© Damaris Metzger, www.damarisliest.de