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Donnerstag, 2. August 2018

"Der nächstferne Ort" von Hayley Long



Das Thema
Ein schrecklicher Autounfall und von einer Sekunde auf die andere ist im Leben der beiden Brüder Griff und Dylan nichts mehr, wie es war. Während der 13-jährige Griff verzweifelt versucht, sich von der Trauer um den Verlust seiner Familie nicht überwältigen zu lassen, lässt Dylan nichts unversucht, seinen jüngeren Bruder zu schützen und ihm dennoch langsam zurück ins Leben zu helfen. Tatsächlich gelingt es den beiden auch ganz allmählich, ihren Platz wieder zu finden - jeder für sich und trotzdem gemeinsam.

© Klappentext-, Cover- und Zitatrechte: Königskinder Verlag


Unser Auto wurde komplett geschrottet, mit uns allen drin. Es war, als würde einem mitten in einem total kranken Film plötzlich bewusst, dass man eine Hauptrolle darin spielt.
Und natürlich wollte ich nicht dort sein. Natürlich wollte ich nicht, dass das alles echt ist. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich mir die Fernbedienung geschnappt und diese ganze schreckliche Geschichte einfach weggezappt. Und dann wäre ich losgerannt zum nächstfernen Ort und für immer dort geblieben.
Doch das ging nunmal nicht.
Weil da noch andere Leute mit mir in diesem Film waren.
In diesem Auto.
Und einer von ihnen brauchte mich.
- S. 27


Das Leseerlebnis
Es sind oft die leisen Bücher, die unauffälligen oder, besser gesagt, unaufdringlichen Bücher, die bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen. Leider fallen aber gerade diese oft hinter den Spitzentiteln zurück, müssen es erst mal bemerkt werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Selbst als Vielleserin kann man sich nicht jedes Buch ganz genau anschauen. "Der nächstferne Ort" war eine Leseempfehlung, eine, für die ich sehr dankbar bin. Denn hätte ich das Buch nicht gelesen, hätte ich einen Buchschatz verpasst, ein Buch, das mich nachhaltig berührt und ergriffen hat.

Die Familie des 13-jährigen Griff und seines älteren Bruders Dylan führt ein eher unkonventionelles, aber sehr inniges Leben. Alle paar Jahre zieht es sie an einen anderen Ort und so haben die Jungen mit ihren Eltern schon auf mehreren Kontinenten gewohnt, sind nirgends fest verwurzelt. Aktuell wohnen sie in New York. Auf dem Rückweg von einer Ferienreise passiert ein großes Unglück, Griff und Dylan verlieren ihre Eltern.
So kurz umrissen klingt das nach einem echten Drama. Und das ist es auch. Die Geschichte ist eine Tragödie, die zu Herzen geht, die den Leser an die Hand nimmt und ihn miterleben lässt, wie Griff und Dylan nun ohne ihre Eltern zurechtkommen müssen. Während Dylan, der die ganze Geschichte erzählt, ruhig leidet, und lieber dafür sorgt, dass es seinem jüngeren Bruder gut geht, ist Griff oft etwas giftig und unnahbar. Aber wer soll es ihm verdenken? Die Situation der Jungen ist einfach unvorstellbar traurig.

Sehr gut gefallen hat mir, dass die Geschichte nichts Reißerisches an sich hat, und nicht auf Sensationslust ausgelegt ist. Statt die Jungen mit noch mehr Drama zu überfordern, stellt die Autorin ihnen freundliche Mitmenschen an die Seite, die sich um sie kümmern und ihnen helfen. Der Verlust der Eltern ist auch wirklich schlimm genug. Dafür ist die Handlung sehr gefühlvoll, ja liebevoll, und berührt stark. Mehrfach hatte ich während des Lesens einen dicken Klos im Hals.

Eine große Besonderheit ist das Druckbild des Buches. Zuerst glaubte ich sogar an einen Fehler, denn einige Worte/Sätze sind kleiner oder größer abgedruckt als der Rest. Je nach dem momentanen Empfinden oder der Lautstärke der agierenden Person. Dadurch ergibt sich ein ganz eigenes Lesegefühl, eine Dynamik, die eine einzigartigen Lesesog zur Folge hat.
Lange Zeit dachte ich, das Buch kommt ohne weiteren (tragischen) Höhepunkt aus. Aber es gibt gegen Ende eine Wendung, die mich kalt erwischte und eifrig im Buch zurückblättern ließ, obwohl mir ein solcher Wechsel in der Handlung nicht unbekannt ist. Das Ende ist wunderschön und vereinnahmt gleichzeitig so stark, dass man sich nicht wehren sollte, gegen das Schluchzen und die Tränen, die dann ganz sicher fließen werden.

Das Fazit
Mir fällt kein Fazit ein, das dem Buch "Der nächstferne Ort" annähernd gerecht wird. Dieses Buch sollte gelesen werden. Es ist ein gefühlvolles Drama (mit Überraschungseffekt!) und das beste Beispiel für Verständnis und Freundlichkeit in Zeiten von Trauer und Verlust. Die Geschichte ging mir sehr zu Herzen und hat mich gleichzeitig beeindruckt und bewegt. Den Klos im Hals, der sich beim Lesen bildet, wird niemand ewig herunterschlucken können. Am Ende wird man das Buch schluchzend, aber mit einem Lächeln schließen ... und das ist gut so! 5 von 5 Sterne gibt es von mir.


© Damaris Metzger, www.damarisliest.de


Königskinder Verlag (März 2018) - Hardcover mit Schutzumschlag, 336 Seiten - 19,99 € [D]
Originaltitel: The Nearest Faraway Place - Übersetzt von Josefine Haubold - ab 14 Jahren