"Was für eine wunderbare Geschichte!" Mit diesem glücklichen Seufzen schloss ich vor kurzer Zeit meine aktuelle Lektüre "Ruht das Licht" und schwelge noch heute in der Erinnerung an die ausdrucksstarke, lyrische Sprache des Buches. Die Geschichte von Maggie Stiefvater steht ihrem Vorgänger "Nach dem Sommer" sprachlich in nichts nach, viele Leser werden das bestätigen. Doch plötzlich kam mir ein Gedanke, der mich danach nicht wieder los ließ: Immer wieder wird in Rezensionen die schöne Sprache eines Autors hervorgehoben. Diese Feststellung ist gut und richtig, ABER gerade bei fremdsprachigen Autoren ist es doch die deutsche Übersetzung, die uns das Buch gefallen lässt. Der Autor kann noch so schön, poetisch und bildlich schreiben - ist die Übersetzung "schlecht", wird die Lektüre nicht die Begeisterung hervorrufen, die sie sollte.
Die genannten zwei Bücher gehören für mich zu den besten Beispielen im Young-Adult Bereich, bei denen die Übersetzung perfekt gelungen ist. Wäre es nicht wahnsinnig interessant die Übersetzer "Hinter den Kulissen" zu Wort kommen zu lassen? Darum freue ich mich besonders, dass mein Gedanke umgesetzt werden konnte und ich den zwei Übersetzerinnen, die u.a. "Nach dem Sommer" und "Ruht das Licht" bearbeitet haben, einige Fragen stellen durfte.
Sandra Knuffinke und Jessika Komina (KuK Übersetzungen) arbeiten als Duo und haben sich auf Literaturübersetzungen spezialisiert. Sie übersetzen Englisch, Französisch und Niederländisch. Neben der "Wölfe aus Mercy Falls"-Trilogie entspringen u.a. auch noch die Bücher "Flames'n'Roses", "Schweigt still die Nacht" und die "Vladimir Tod"-Reihe (alle bei Loewe und script 5) ihrer Übersetzungsfeder.
Damaris: Frau
Knuffinke und Frau Komina, ich freue mich sehr, dass wir uns für "Damaris
liest…" ein bisschen unterhalten können und Sie meinen Lesern einen
Einblick hinter die Kulissen einer Romanübersetzung geben wollen. Erzählen Sie
mir doch kurz etwas über sich. Wie wird man professionelle Übersetzerin, und
hatten Sie diesen Berufswunsch schon immer?
KuK Übersetzungen:
Bei uns hat alles damit angefangen, dass wir auf den Studiengang
Literaturübersetzen an der Uni Düsseldorf gestoßen sind. Dort haben wir uns
auch kennengelernt. Wir haben uns beide schon immer sehr für Bücher und
Fremdsprachen interessiert, darum hat uns die Idee, beides miteinander zu
verbinden und eventuell zu unserem Beruf zu machen, gleich gefallen.
Damaris: Werden
Sie für Übersetzungsaufträge, speziell Romane, von Verlagen angefragt oder muss
man sich dafür bewerben?
KuK Übersetzungen:
Das hängt ziemlich stark davon ab, wie etabliert man ist. Die Verlage, mit
denen man schon mal gut zusammengearbeitet hat, fragen schon von sich aus an,
wenn sie einen passenden Auftrag haben. Und wenn man schon einige Übersetzungen
vorzuweisen hat, kann es auch durchaus mal vorkommen, dass sich ein neuer
Verlag meldet und man ein Projekt angeboten bekommt. Das ist aber eher die
Ausnahme. Im Normalfall muss man, vor allem am Anfang, Bewerbungen schreiben
und auf der Buchmesse Klinken putzen. Dazu braucht man dann in erster Linie
Durchhaltevermögen und vor allem ein bisschen Glück.
Damaris: Zu Ihren
Referenzen zählen, neben "Flames'n'Roses" oder "Vladimir Tod",
auch die Romane der Wölfe von Mercy
Falls-Trilogie, "Nach dem Sommer" und das erst kürzlich
erschienene "Ruht das Licht". Ihre Übersetzung scheint hier perfekt
zu sein, wird doch immer wieder die schöne, lyrische Sprache gelobt. Waren
diese Bücher besonders, bzw. schwieriger zu übersetzen?
KuK Übersetzungen:
Schwieriger zu übersetzen vielleicht nicht, aber doch anders als Bücher, bei
denen die Sprache nicht besonders markiert ist. In der Mercy Falls-Trilogie kam
es sehr darauf an, den bildhaften, teilweise fast poetischen Stil
rüberzubringen, ohne dass es zu kitschig oder auch zu undeutsch klang. Die
Schwierigkeit ist dabei immer die Frage, wie weit man sich mit der Übersetzung
vom Original entfernen darf, damit ein deutscher Text dabei herauskommt, ohne
dass zu viel von seinen Eigenheiten wegfallen. Und manchmal dauert es einfach
ein bisschen länger, wenn man zum Beispiel eine Metapher erst mal in ihre
Einzelteile zerlegen muss, um sich die genaue Bedeutung klarzumachen, bevor man
anfängt eine deutsche Entsprechung zu "basteln". Trotzdem sind auch
Texte mit vermeintlich einfacher Sprache nicht zu unterschätzen, wie wir schon
des Öfteren festgestellt haben. Manchmal ist es nämlich gar nicht so einfach,
im Deutschen nicht alles zu verkomplizieren.
Damaris: In
"Nach dem Sommer" und auch in "Ruht das Licht" gibt es
einige Passagen (Songtexte und Gedankengänge von Sam) die im englischen
Original belassen wurden. Dadurch bleiben sie authentisch. Liegen solche
Entscheidungen - Eigennamen, Songtexte oder Ausdrücke im Original zu belassen -
komplett bei Ihnen, bzw. in Ihrem eigenen Ermessen?
KuK Übersetzungen:
Bei der Frage, ob Sams Songtexte übersetzt werden sollten oder nicht, haben wir
uns vorab mit unserer Lektorin abgesprochen und gemeinsam beschlossen, sie auf
Englisch zu lassen. Dafür haben wir ein paar dieser Textstellen einfach mal
probeweise übersetzt und festgestellt, dass das Ergebnis ziemlich nach
kitschigem Schlager klang. Wir sind hier nun mal eher an englischsprachige
Liedtexte gewöhnt, und da man beim Musikhören auch nicht immer alles perfekt
versteht, haben wir entschieden, dass das bei Sams Songtexten etc. genauso sein
darf. Letztendlich trifft solche Entscheidungen das Lektorat, aber eigentlich
immer in Absprache mit uns. Ähnliches gilt zum Beispiel auch für die Buchtitel,
die meistens erst die ganze Verlagsmaschinerie durchlaufen müssen, bevor man
sich für einen entscheidet. Da machen wir zwar manchmal Vorschläge oder werden
nach unserer Meinung gefragt, aber es spielen natürlich auch Marketingaspekte usw.
mit rein und davon haben wir als Übersetzer einfach nicht so viel Ahnung.
Damaris: Würden
Sie mir etwas über Ihre Arbeitsweise verraten? Lesen Sie z.B. ein Buch im
Original zuerst komplett durch? Übersetzen Sie geradlinig von vorne bis hinten?
KuK Übersetzungen:
Bücher, die wir nicht kennen, lesen wir auf jeden Fall vorher durch, um einen
Eindruck von der Sprache zu bekommen. Meistens besprechen wir so was dann auch,
bevor eine von uns mit der Übersetzung anfängt. Wir haben aber auch viele Trilogien
und Reihen, bei denen man den Schreibstil irgendwann schon kennt. Dann kann es
schon mal vorkommen, dass wir einen der hinteren Bände nicht vorher lesen, sei
es aus Zeitmangel oder auch, um noch ein bisschen mitzufiebern! Die Übersetzung
machen wir dann erst mal geradlinig von vorne bist hinten, beim anschließenden
Überarbeiten nimmt man sich dann aber natürlich auch einzelne Textstellen noch
mal genauer vor.
Damaris: Wie ist
Ihr Zeitrahmen, wie lange dauert es, um ein Jugendbuch zu übersetzen?
KuK Übersetzungen:
Das hängt immer von den jeweiligen Büchern ab, sowohl von der Seitenzahl als
auch von der Sprache oder davon, wie viel man ansonsten noch recherchieren
muss. Durchschnittlich brauchen wir vielleicht so zwei bis zweieinhalb Monate
inklusive Überarbeiten und Besprechen. Manchmal muss es aber natürlich auch
schneller gehen und manchmal hat – und braucht! – man auch ein bisschen mehr
Zeit.
Damaris: "Nach
dem Sommer", sowie "Ruht das Licht" haben Sie als Duo übersetzt.
Hat hier jede von Ihnen dieselben Aufgaben oder teilen Sie z.B. Charaktere
unter sich auf?
KuK Übersetzungen:
Wir übersetzen alles als Duo, das ist einfach viel netter! Zu Beginn haben wir
uns die Bücher dabei immer kapitelweise aufgeteilt, mittlerweile sind wir aber
dazu übergegangen, dass jede von uns das komplette Buch übersetzt und die
andere es dann überarbeitet. Das mit den Charakteren hatten wir uns auch
überlegt, aber dann schon bei "Nach dem Sommer" gemerkt, dass das
schwierig würde, weil Grace einen wesentlich höheren Seitenanteil hat als Sam,
und das wäre ja ungerecht gewesen …
Damaris: Im
Englischen gibt es bekanntlich die deutsche Höflichkeitsform "Sie"
nicht. Die Übertragung stelle ich mir teilweise schwierig vor. Ist Ihnen bei
einer Romanübersetzung ins Deutsche immer sofort klar, wo die höfliche Form
angebracht ist?
KuK Übersetzungen:
Oje, mit der Frage treffen Sie voll ins Schwarze! Wir arbeiten nämlich gerade
an einem Text, bei dem das alles andere als klar ist und bei dem wir schon
dreimal alles umgeworfen haben. Natürlich hat man Anhaltspunkte, nach denen man
sich richten kann – wenn jemand Mr Soundso genannt wird, dann wird man ihn ja
höchstwahrscheinlich im Deutschen siezen. Aber viele Nuancen, die das Englische
bietet, gehen verloren: Sind die Figuren vielleicht ineinander verliebt und
werden im Laufe des Textes immer vertrauter? Und was, wenn plötzlich vom
Nachnamen zum Vornamen übergegangen wird? Kann man dann einfach so das "Du"
einführen, oder wirkt das zu abrupt? Das alles muss man immer wieder
gegeneinander abwägen, und manchmal kann man daran fast verzweifeln!
Damaris: Bei
einem kürzlich gelesenen Buch fiel mir auf, dass ein Abschnitt, gerade auf die
Anrede bezogen, etwas durcheinander übersetzt war (ich muss dazu sagen, ich
lese sehr genau J).
Die junge Hauptprotagonistin sprach einen gleichaltrigen Klassenkameraden mit
"Sie" an, eine Seite weiter wechselte sie ins gängige "Du".
Fällt Ihnen so etwas auf? Wie vermeiden Sie selbst solche Fehler?
KuK Übersetzungen:
Doch, das fällt uns schon auf. Es ist ziemlich schwierig, beim Lesen die "Übersetzerbrille"
einmal abzusetzen. Wenn man ein englisches Buch liest, denkt man etwa bei
schwierigen Wortspielen: "Ach Gott, wir würdest Du das denn übersetzen?"
und bei deutschen, übersetzten Titeln fragt man sich wiederum: "Was hat da
wohl im Original gestanden?" Bei unserer eigenen Arbeit kommt uns da mal
wieder sehr zugute, dass wir zu zweit sind. Meist fallen der anderen solche
Fehler auf, wenn man sie selbst nicht gesehen hat. Und danach liest den Text ja
zum Glück immer noch ein Lektor – aber manchmal verliert man leider auch ein
bisschen den Überblick und dann kann das schon mal passieren.
Damaris: Fällt
Ihnen eine Übersetzung leichter, wenn Sie schon das Original mögen oder macht
das keinen Unterschied?
KuK Übersetzungen:
Mehr Spaß macht es natürlich schon, wenn man das Buch mag – man muss es ja
mindestens zwei Mal lesen. Aber einfacher ist es nicht unbedingt, manchmal
sogar im Gegenteil: Wenn man etwas sprachlich nicht ganz so gelungen findet,
fällt es einem meist leichter, das Ganze in ein schönes Deutsch zu bringen,
weil man genau weiß, wo die Schwächen liegen. Bei einem tollen Originaltext hat
man eher Angst, man könnte die Feinheiten nicht gut genug transportieren – das
war zum Beispiel bei Ali Shaws "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen"
(erscheint im Frühjahr 2012 bei script5) so. Bei diesem Buch fanden wir den
poetischen Schreibstil sehr schön, mit sehr vielen ausgefallenen Vergleichen
und Metaphern. Da überlegt man natürlich schon länger, wie man dem gerecht
wird.
Damaris: Sie
übersetzten Englisch, Französisch und Niederländisch. Haben Sie unter diesen
eine "Lieblingssprache"?
KuK Übersetzungen:
Puh, schwierig. Alle drei haben etwas für sich. Aber auch, wenn das Englische die
Geläufigste der drei Sprachen ist (und diejenige, aus der wir bei Weitem am
meisten übersetzen), würden wir uns wohl dafür entscheiden. Englisch ist eine unheimlich
tolle Sprache, sie wirkt so einfach und kann gleichzeitig so viel ausdrücken.
Es gibt für alles Mögliche und Unmögliche eine Wortschöpfung – man denke nur an
das wunderbare "muffintop" für Hüftspeck, der über eine zu enge Hose
quillt. Da kommt unser deutsches "Hüftgold" einfach nicht ganz mit.
Damaris: Zum
Schluss immer wieder gerne von mir gefragt: Wer beruflich so viel liest,
schreibt und sich mit Texten auseinandersetzt wie Sie, lesen Sie dann
privat/als Hobby auch noch gerne? Und was ist Ihr bevorzugtes Buchgenre?
KuK Übersetzungen:
Ein klares Ja! Und zwar alles Mögliche, von den englischen Klassikern (wir sind
beide große Jane Austen-Fans) über Sachbücher bis zur aktuellen Belletristik.
Natürlich sind wir auch immer sehr interessiert, was in unserem Sektor
Jugendbuch/ junge Erwachsene sonst so passiert. Außerdem ist es auch für die
Arbeit von Vorteil, möglichst viel und breit gefächert zu lesen, vor allem auf
Deutsch, da kann man so schön "Sprache tanken".
Damaris: Vielen
Dank, dass Sie sich für meine Fragen Zeit genommen haben. Und DANKE, dass Sie
"Nach dem Sommer" und "Ruht das Licht" so gut übersetzt
haben, dass auch wir Deutschen sagen können: Einmalig gute Sprache, nicht
vergleichbar, ich hatte Gänsehaut beim Lesen!
KuK Übersetzungen:
Vielen Dank Ihnen erst mal für das Lob J, und außerdem für Ihr Interesse an unserer Arbeit!