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Mittwoch, 23. Juli 2014

Review zu "Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte" von Cystal Chan



Magellan (Juli 2014),
Hardcover, 304 Seiten,
14,95 € [D]


Dass es Dinge gibt, über die man in einer Familie nicht redet, ist ganz natürlich, findet Jewel. Oder vielleicht kommt einem das auch nur so vor, wenn man am selben Tag geboren wurde, an dem der ältere Bruder gestorben ist. Wenn man dann auch noch in einer Multikulti-Familie auf dem Land lebt, kann das Leben manchmal eine ganz schöne Herausforderung sein.
An einem Tag im Sommer taucht plötzlich John auf und zum ersten Mal in ihrem Leben hat Jewel einen Freund. Als dann aber Jewels Vertrauen missbraucht wird, lernt sie, dass man über manche Dinge nicht schweigen darf. (Cover-, Text- und Zitatrechte: Magellan Verlag)


Wo war all diese Freude geblieben, und wohin ging sie, wenn sie deinen Familie verließ? Zog sie weiter zu einer anderen Familie, versickerte sie in der Erde oder löste sie sich in Luft auf, so wie Atemwolken im Winter? Und wenn sie nicht einfach verschwand, warum war dann nichts für mich davon übrig? - S. 30


Meine Meinung
Die 12-jährige Jewel hatte einen Bruder. Kennengelernt hat sie ihn allerdings nie, denn Bird starb an dem Tag, als Jewel zur Welt kam. Seit dieser Zeit liegt eine tiefe Traurigkeit über der Familie. Die Eltern schweigen bei vielen Dingen und der Großvater verbringt die Tage in seinem Zimmer, spricht nicht mehr. Vielleicht aus Schuldgefühlen, weil er Jewels Bruder immer Bird genannt hat und sich der Kleine dann, in dem Versuch fliegen zu können, von einer Klippe stürzte? Seit ihrer Geburt liegt diese Familientragödie auf Jewel und belastet sie schwer. Sie fühlt sich ungeliebt und nur als ein Ersatz für ihren toten Bruder. Bis sie in dem Nachbarsjungen John einen Freund findet und durch die Erfahrungen, die sie in dieser Freundschaft sammelt, selbst lernt zu fliegen.

Ich war total durcheinander. War es falsch, dass immerzu diese Wut durch unser Haus schlich und in allen Ecken und Winklen kauerte? War es falsch, dass ich versuchte, Entschuldigungen dafür zu finden? - S. 79

Jewel tat mir von Anfang an leid. Dass das Mädchen im Alltag leidet, bekommt man sofort mit. Einige Dinge, die bei anderen Familien normal sind, oder die man von Eltern einfach erwartet, sind bei Jewel komplett anders. Und sie hat keine Möglichkeit, die Traurigkeit und Passivität in ihrer Familie zu beeinflussen. Sie fühlt sich immer fehl am Platz, einfach ungeliebt. Wenn ein Kind dann versucht durch "lieb sein" oder Unauffälligkeit das Herz ihrer Eltern zu erreichen, dann schneidet das tief in die Leserseele. Die Gedanken, die sich Jewel macht, die man als sehr bildliche Zitate im Buch lesen kann, sorgen jetzt noch für einen dicken Klos in meinem Hals.

"Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte" ist ein ruhiges, leises Buch. Die leicht depressive Stimmung nimmt den Leser sehr gefangen und einige Dinge sind recht ungewöhnlich. Nicht nur das tragische Schicksal der Familie bewegt, sondern die Personen verhalten sich alle nicht nach der Norm. Die Familie lebt in den USA, mitten auf dem Land, stammt aber ursprünglich aus Jamaika und Mexiko. Der Alltag ist geprägt durch Geisterglaube und abergläubische Handlungen, auch wenn Jewels Mutter als Christin damit nicht immer einverstanden ist. Das mutet teils etwas seltsam an, wird von der Autorin aber niemals als richtig oder falsch definiert. Vielmehr ist das Buch von der Aussage geprägt, dass man aus jeder Weltanschauung Wertvolles für sein Leben erlangen kann.
Generell wird im Buch nicht gewertet, die Autorin zeigt nur, dass jeder Mensch anderes mit Verlust umgeht. Hier gibt es kein Richtig und kein Falsch.

Was tut man, wenn die Sorgen einfach nicht weggehen? Wenn nicht mal die Erde selbst sie noch aufnehmen kann? - S. 192

Doch das Buch wäre kein Kinderbuch, wenn es für Jewel keinen Hoffnungsschimmer gäbe. Dieser Hoffnungsschimmer zeigt sich in Form von John, Jewels neuem Freund. Sie lernt durch ihn, und nicht nur in angenehmer Form, sich zu behaupten und Dinge, die sie belasten, anzusprechen. Missverständnisse werden geklärt und es bleibt bei keinem der Charaktere eine unverstandene Antipathie zurück. Am Ende löst sich sogar der traurige Knoten im Magen und macht einem hoffnungsvollen Glücksgefühl platz.

Fazit
Besondere Bücher muss man oft etwas sacken lassen, so auch "Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte". Das Buch ist ungewöhnlich und ungewöhnlich gut. Mit seiner leisen und traurigen Art geht es direkt ins Herz. Dabei wertet es nicht den Umgang der diversen Charaktere mit einem schlimmen Schicksalsschlag, sei er noch so sonderbar. Vielmehr regt die Geschichte zum Nachdenken an, gibt dem Leser viele Eindrücke mit auf den Weg und lässt einen am Ende nicht alleine. Das macht "Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte" nicht nur zu einem Kinderbuch, sondern zu einem echten All-Ager. Lesen!

© Damaris Metzger, damarisliest.de