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Donnerstag, 31. Juli 2014

Review zu "Wo ein bisschen Zeit ist ..." von Emil Ostrovski



Fischer FJB (Juli 2014),
Hardcover/SU, 304 Seiten,
16,99 € [D] 


DREI TEENAGER UND EIN BABY: AUF DER FLUCHT VOR DER POLIZEI und auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Ein Roadmovie-Roman.

Der 18-jährige Jack Polovsky entführt seinen neugeborenen und zur Adoption freigegebenen Sohn, um ihn seiner dementen Großmutter zu zeigen. Und so gerät alles aus den Fugen. Jack kauft ein Auto, holt seinen besten Freund Tommy und später auch die Mutter des Kindes dazu, und gemeinsam sind sie zwei Tage lang auf der Flucht vor der Polizei. Jack bespricht dabei schon mal die ganz großen Themen des Lebens mit seinem Sohn. Der heißt nämlich Sokrates - zumindest für Jack. (Text-, Cover- und Zitatrechte: Fischer FJB)


"Wenn wir Menschen sind, machen wir uns Gedanken. Philosophen machen sich Gedanken. Demnach müssen alle Menschen Philosophen sein. So was nennt man einen Fehlschluss. Bejahung der Konsequenz." - S. 165


Meine Meinung
Dieses Buch war eine persönliche Empfehlung. Ich las den Klappentext und mit dem ersten Satz war mir klar, dass ich "Wo ein bisschen Zeit ist ..." lesen muss. Teenager, Baby, Roadtrip - perfekt! Dazu klingt die ganze Geschichte sehr tiefsinnig, irgendwie crazy und auch lustig. Könnte also genau mein Buch werden.
Dabei verrät der Klappentext für sich alleine schon den kompletten Handlungsverlauf (Anmerkung: Den letzten Satz des Klappentextes habe ich aus diesem Grund hier weggelassen). Mich persönlich hat das nicht gestört, denn ich habe mir während des Lesens Gedanken gemacht, warum hier schon so viel zusammengefasst wird. Vielleicht soll man sich als Leser auf die tieferen Aussagen des Buches konzentrieren können? Bei mir hat das funktioniert. "Wo ein bisschen Zeit ist ..." IST crazy, IST lustig, aber auch sehr anspruchsvoll, philosophisch und nicht einfach zu lesen.

Jack ist an einem Morgen so deprimiert, dass er sich fast umbringt. Aber eben nur fast. Glücklicherweise bekommt er einen Anruf seiner Exfreundin Jess, die gerade im Krankenhaus ihr gemeinsames Kind zur Welt bringt. Weil Jack und Jess beide zu jung für ein ungeplantes Baby sind, will Jess das Kind zur Adoption freigeben. Im Affekt schnappt sich Jack seinen neugeborenen Sohn und flüchtet mit ihm aus dem Krankenhaus. Ab hier beginnt der eigentliche Roadtrip und die Suche von Jack, der seinen Sohn Sokrates nennt, nach dem Sinn des Lebens und des Daseins.

Ich weiß es. In einer Welt, in der es weder Sinn noch Zweck noch Gott gibt, einer Welt, auf die man sich keinen Reim machen kann, ist es unglaublich einsam. - S. 175

Allzu ernst darf man die Handlungen im Buch nicht nehmen. Es blutet wohl nicht nur jedes Mutterherz, wenn ein Teenager mit einem wenige Stunden alten Baby durch die Gegend rennt, fährt, zuerst komplett überfordert ist (er will das Baby mit Apfelmus füttern!) und dann gemeinsam mit seinen Freunden doch noch einen Weg findet, den Kleinen ansatzweise babygerecht zu versorgen.
Ernster sollte man allerdings die philosophische Komponente im Buch nehmen. Denn hier werden Fragen aufgeworfen, die es ganz schön in sich haben, nachdenklich machen, aber manchmal auch einfach nur so abstrakt sind, dass sie für die Überlegungen eines "normal" denkenden Menschen fast schon zu hoch sind.

"Wo ein bisschen Zeit ist ..." gehört eindeutig zur Hochliteratur des Jugendbuches. Jack und sein Sohn Sokrates erörtern in imaginären Gesprächen die Grundfragen des Lebens und auch die darüber hinaus. Fraglich, ob die angesprochene Zielgruppe im Allgemeinen gut damit zurecht kommt. Wer sich aber mit der Philosophie im Buch beschäftigen kann (und will!), der erhält einen literarischen Schatz, eine Herausforderung! Und auch schriftstellerisch ist das Buch ein Sahnestück!
Die Roadtriphandlung, mit viel Situationskomik, und Philosophieerörterungen von Jack halten sich in etwa die Waage, wobei es scheint, als sei auf letztere ein etwas größerer Fokus gelegt worden. Man muss sich einige Male sehr stark konzentrieren und Textstellen Revue passieren lasen, um gewissen Ausführungen folgen zu können.

"Du kannst ihn nicht behalten, das weißt du doch, oder?"
"Ich weiß", sage ich. Ich weiß, dass Sokrates bei einer normalen Familie, wo er mit einem todlangweiligen normalen Namen wie John aufwächst und nicht zwischen zwei Eltern hin und her gereicht wird, die gerade mal die Highschool hinter sich haben und deren Beziehungsstatus bei Facebook "Es ist kompliziert" lautet, dass er bei dieser Familie besser dran ist. Ich bin achtzehn verdammte Jahre alt! [...] Und trotzdem frage ich: "Du meinst, da ist gar nichts zu machen? Du, ich und er?" - S. 141/142

Am Ende, soviel kann verraten werden, finden Jack und seine Freunde, den Weg, der für sie richtig ist (keine Sorge, auch dem Baby geht es gut!). Den Schluss fand ich zu Tränen rührend. Einfach passend. Und auch nach dem Epilog hat man das befriedigende Gefühl, ein besonderes Buch gelesen zu haben.

Fazit
Emil Ostrovski ist noch sehr jung und hat Philosophie studiert. Beides kommt seinem Debütroman zugute. In seinem Buch vereint sich eine jugendliche Spontanität mit ausführlichen Lebensfragen und philosophischen Erörterungen. Ja, man hat tatsächlich das Gefühl, etwas geleistet zu haben, nachdem man "Wo ein bisschen Zeit ist ..." beendet hat. Doch es lohnt sich! Die Komponente der drei Jugendlichen, und deren Umgang mit einem neugeborenen Baby, ist herzerwärmend (und bitte nicht allzu ernst zu nehmen). Der Schluss so rührend, dass einem ein großer Stein vom Herzen fällt.
Wer den Anspruch hat, Jugendbüchern abseits von Fantasy, Klischees und Nichtigkeiten eine Chance zu geben, sollte sich an "Wo ein bisschen Zeit ist ..." herantrauen. Man könnte von diesem verrückt-tiefgründigen Buch überrascht werden.

© Damaris Metzger, damarisliest.de